Der Unterschätzte: Die Karriere des französischen Rekordtorschützen Olivier Giroud

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Der Unterschätzte: Die Karriere des französischen Rekordtorschützen Olivier Giroud

Der Unterschätzte: Die Karriere des französischen Rekordtorschützen Olivier Giroud
Der Unterschätzte: Die Karriere des französischen Rekordtorschützen Olivier GiroudProfimedia
Mit 36 Jahren nimmt Olivier Giroud an seiner dritten Weltmeisterschaft teil. Inzwischen ist der "echte Neuner" unentbehrlich in der Offensive der französischen Nationalmannschaft, doch das war nicht immer so. Der in Chambéry geborene Stürmer erlebte Höhen und Tiefen. Oft unterschätzt, immer solide und mit großen Teamgeist schaffte er es, sich in jedem seiner Teams durchzusetzen und letztendlich einer der größten französischen Spieler aller Zeiten zu werden.

Beharrlichkeit. Eine Charaktereigenschaft, die Olivier Giroud kennzeichnet und eine seiner größten Stärken. Ein Merkmal, das den inzwischen 36-jährigen Angreifer zu einer großen Karriere in Frankreich, England und Italien gebracht hat und darüber hinaus den Rekord des besten Torjägers in der "Équipe tricolore" aller Zeiten. In Frankreich gilt er als Vorbild für jeden Fußballer, der sich auf hohem Niveau entwickeln möchte. Im WM-Finale gegen Argentinien am 18. Dezember will Giroud seinem Team zur zweiten Weltmeisterschaft in Folge verhelfen.

Olivier Giroud mit seinem Arsenal-Kollegen und Landsmann Laurent Koscielny im Jahr 2012.
Olivier Giroud mit seinem Arsenal-Kollegen und Landsmann Laurent Koscielny im Jahr 2012.Profimedia

Dabei galt er lange als 'aus der Zeit gefallen': Einer, dessen Karriere in der großen Zeit des tiki taka begann, als klassische Mittelstürmer plötzlich nicht mehr gefragt waren. So musste Giroud bei seiner Ankunft in England im Jahr 2012 viel Spott über sich ergehen lassen. Obwohl er wenige Monate zuvor nicht nur sensationell mit dem Außenseiterteam Montpellier französischer Meister geworden war, sondern auch 21 Treffer in der Ligue 1 erzielt hatte und damit die Torjägerkanone verliehen bekam, wurde man in London nur schwer mit ihm warm. Viele verglichen ihn dem kurz zuvor abgewanderten Robin van Persie und hatten wenig Hoffnung, dass der zuweilen hölzern wirkende Giroud diesem Profil entsprechen könnte.

"Ich bin nicht hier, um Robin van Persie vergessen zu machen. Ich maße mir nicht an zu sagen, dass ich ihn ersetzen werde, denn ich habe zu viel Respekt vor ihm nach seiner letzten Saison, in der er unglaublich war. Ich bin nicht er, aber ich habe vor, etwas anderes zu bringen", sagte er damals "The Sun".

Die erste Saison lief holprig, Giroud stritt sich mit Lukas Podolski um den Stammplatz und sein erstes Tor in der Premier League gelang ihm erst im Oktober gegen West Ham United. Am Ende der Saison steht er bei wettbewerbsübergreifend 17 Toren - nicht schlecht, aber zu wenig, um sich einen Platz in den Herzen der erfolgsverwöhnten Fans zu erobern. Dass Arsenal insgesamt titellos bleibt und aus damaliger Sicht 'nur' den vierten Platz in der Premier League einfährt, trägt auch kaum zu einer besseren Stimmung rund um den Franzosen bei.

Es ist kompliziert: Olivier Giroud und die Anfänge beim FC Arsenal.
Es ist kompliziert: Olivier Giroud und die Anfänge beim FC Arsenal.Profimedia

Doch Giroud kämpfte. Der Mann, der lange in unterklassigen Teams spielte und dessen ehemaliger Trainer in Grenoble ihm die Tauglichkeit für die französische zweite Liga (!) absprach, arbeitete hart in der Saisonvorbereitung, schob Extraschichten und spielte eine sehr gute zweite Saison bei den Gunners. 25 Torbeteiligungen in der Premier League ließen auch die Kritiker weitesgehend verstummen, sodass alles nach einem Happy End für Giroud aussah. 

Anlass zur Kritik gab es im Jahr 2014, das aber nicht auf dem Fußballplatz: Giroud, zu dem die englische Boulevardpresse auch wegen seines smarten Äußeren eine Art Hassliebe pflegte, passte nicht in das Bild des klassischen englischen Fußball-Arbeiters, der sich durch die berühmten 'cold, rainy nights in Stoke' wühlt. Im Gegenteil: Wie die "Sun" berichtete und mit einem eindeutigen Foto unterlegte, traf sich Giroud im Februar wenige Stunden vor einem Ligaspiel mit einem Unterwäschemodel auf seinem Hotelzimmer. Das Problem: Giroud war zu diesem Zeitpunkt verheiratet und hatte eine acht Monate alte Tochter. Der Franzose bat seine Familie und seine Fans öffentlich um Entschuldigung, für die englische Presse war der Skandal ein gefundenes Fressen.

Olivier Giroud mit seiner Tochter Jade im Jahr 2014.
Olivier Giroud mit seiner Tochter Jade im Jahr 2014.Profimedia

Im Nachhinein ist es einfach, sportliche Leistungen mit privaten Rückschlägen zu verknüpfen, doch in der Tat dauerte es bis zum Beginn des Jahres 2015, ehe Giroud wieder zu seiner gewohnten Leistung zurückfand. Nachdem er noch für das Ausscheiden in der Champions League gegen Monaco verantwortlich gemacht wurde, bewies er einmal mehr mentale Stärke, traf in der Liga wieder zweistellig und wurde im März gar mit dem Titel "Bester Spieler der Premier League" ausgezeichnet, nachdem er in allen Spielen in diesem Monat getroffen hatte.

Ab diesem Moment hatten die Arsenal-Fans ihren "OG" endgültig lieben gelernt. Olivier Giroud wurde zu einer Referenz auf seiner Position. Sein langgezogener Nachname wurde im Emirates Stadium gesungen, angepasst auf den Beatles-Song "Hey Jude". Bis 2017 erzielt er in jeder Saison mindestens zwölf Ligatore und etabliert sich als Stammspieler bei den Gunners. Seine mentale Stärke und Widerstandsfähigkeit werden respektiert, im Ende konnte er sich sogar in die Geschichtsbücher der Gunners eintragen.

Kurz vor seinem Abschied vom FC Arsenal drückte Giroud dem Verein aus dem Norden der englischen Hauptstadt für immer seinen Stempel auf - nicht nur wegen seiner 105 Tore, sondern auch wegen seines "Scorpion Kicks", den er 2017 im Spiel gegen Crystal Palace erzielte. Als einzige Glanzleistung in einer für Arsenal katastrophalen Saison brachte ihm diese artistische Einlage den Puskas-Award für das Jahr ein. 

Trotz dieses Glanzpunkts verlief die letzte Saison Girouds bei Arsenal nicht überzeugend. Nachdem er seinen Stammplatz im Sturmzentrum verloren hatte und die Perspektive kaum Aussicht auf Besserung versprach, wechselte Giroud im Hinblick auf seinen Platz bei der Weltmeisterschaft 2018 zum Stadtrivalen Chelsea. Nationaltrainer Didier Deschamps spielte eine große Rolle bei seinem Wechsel, und tatsächlich zahlte sich der Neuanfang aus. Die Siege des FA Cups 2018 und der Europa League ein Jahr später trugen auch Girouds Handschrift. Gerade in der Europa League hinterließ er mit elf Toren in 14 Spielen einen starken Eindruck. Der Kreis schloss sich im Finale, als Giroud mit einem Tor und zwei Vorlagen gegen seinen Ex-Klub Arsenal glänzte.

Abseits seines Abenteuers in England stürmte Giroud auch im Nationalteam stets als Stammspieler. Als Profiteur von der disziplinarisch bedingten Abwesenheit von Karim Benzema spielte Giroud den Großteil der WM-Qualifikation. Somit war es überraschend, dass der damals 31-Jährige zum Auftaktspiel des Weltturniers gegen Australien nur auf der Bank saß. Deschamps wollte mit Mbappé im Zentrum beginnen. Das schlug fehl und so setzte er ab dem zweiten Gruppenspiel für den Rest des Turniers konsequent auf Giroud - und wurde nicht enttäuscht. Obwohl Giroud sich nicht in die Torschützenliste eintrug, verpasste er insgesamt nur noch zwanzig Minuten auf dem Weg der Franzosen zum WM-Titel. Der Stürmer hatte den Zenit seiner Nationalmannschaftskarriere erreicht.

Olivier Giroud küsst den WM-Pokal nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft 2018.
Olivier Giroud küsst den WM-Pokal nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft 2018.Profimedia

Ähnlich wie zum Ende seiner Arsenal-Zeit fiel er im Jahr 2020 auch bei Chelsea einem Umbruch zum Opfer: Ein großer Transfersommer mit Zugängen wie Kai Havertz, Hakim Ziyech und eigenen Talenten wie Mason Mount oder Reece James verdrängte die Erfahrung Girouds zugunsten der Jugend. Der Franzose konnte nur noch sporadisch auf sich aufmerksam machen, vor allem in den europäischen Wettbewerben (unter anderem ein historischer Viererpack im Champions League-Auswärtsspiel beim FC Sevilla). Dort war es wieder eine artistische Meisterleistung - diesmal ein Fallrückzieher gegen Atletico Madrid -, mit der der oft als unbeweglich verschriene Giroud auf sich aufmerksam machte. Am Ende der Saison stand für den Mann aus den Savoyen trotzdem der größten Erfolg seiner Vereinskarriere: Unter Trainer Thomas Tuchel gewann Chelsea durch einen Treffer von Kai Havertz die Champions League.

Olivier Giroud mit dem Champions League-Pokal nach dem Sieg über Manchester City.
Olivier Giroud mit dem Champions League-Pokal nach dem Sieg über Manchester City.Profimedia

Für Giroud das Zeichen, weiterzuziehen und sich dem AC Mailand anzuschließen. Giroud und Mailand, das musste einfach passen. Ein Klub, der sich in den vergangenen Jahren einen Namen damit gemacht hat, das beste aus erfahrenen Spielern herauszuholen. Auch mit nun mehr 35 Jahren überzeugte Giroud und konnte in seiner ersten Saison sofort zweistellig in der Liga treffen, was Milan zum ersten Meistertitel seit elf Jahren führte. Spätestens seit der Verletzung von Zlatan Ibrahimovic glänzt Giroud auch weiterhin als Stammspieler bei den Mailändern, in der aktuellen Saison steht er zur verlängerten Winterpause bei neun Treffern und fünf Vorlagen in allen Wettbewerben.

Als Weltmeister, französischer und italienischer Meister sowie Champions League-Sieger gehört er zu den Spielern, an denen man im letzten Jahrzehnt nicht vorbeigekommen ist. Er ist zwar diskreter als andere, aber lebt von seinem Fleiß und seiner mentalen Stärke. Kein Lautsprecher, kein Selbstinszenierer, ein Stürmer alter Schule - mit Erfolg in der Moderne.