Laptop-Trainer Nagelsmann vor EM-Vorbereitung: Zwischen Daten und Bauchgefühl

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Laptop-Trainer Nagelsmann vor EM-Vorbereitung: Zwischen Daten und Bauchgefühl
Statistiken spielen für den Perfektionisten Nagelsmann eine große Rolle.
Statistiken spielen für den Perfektionisten Nagelsmann eine große Rolle.AFP
Julian Nagelsmann hat ein Problem. "Ich bin generell ein Bauchgefühlsmensch", sagte der Bundestrainer bei seiner Vorstellung im vergangenen September, "was nicht immer gut ist." Denn ein Coach, der sich zu sehr von seinen Emotionen leiten lässt, trifft leicht mal vorschnelle oder gar falsche Entscheidungen. "Ein gesundes Nachdenken", weiß Nagelsmann, "gehört dazu." Und deshalb unterfüttert er seine Gefühle gerne mit Daten und Statistiken.

Dass er diese bei der Spielanalyse oder der Bewertung seiner Profis von jeher gerne nutzt, bewies er auf seinen Vereinsstationen - obwohl Nagelsmann zu Anfangszeiten in Hoffenheim mal sagte: "Meine Trainingseinheiten erarbeite ich händisch, mit Bleistift und Lineal. Das hefte ich dann auch ab."

Doch bei der TSG wurde unter dem Trainer Nagelsmann eine große Videowand in die Arbeit auf dem Platz eingebunden - damals ein Novum in der mitunter traditionsverkrusteten Bundesliga. In Leipzig ließ er ein Kino für die Analyse einrichten und am Übungsplatz einen sieben Meter hohen Beobachtungsturm, auf dem ein Assistent mit Laptop saß. Auch in München ließ er eine Videowand am Trainingsgelände aufbauen und träumte laut davon, seine Stars wie die Footballer der NFL zu verkabeln.

Diese Technik-Affinität hat sich der 36-Jährige erhalten, das wurde spätestens bei der Kaderzusammenstellung für den Start ins EM-Jahr mit dem Länderspiel am Samstag (21.00 Uhr/ZDF) in Lyon gegen Frankreich klar. Ob die Rückkehr von Toni Kroos oder die Nominierung von Neulingen wie Jan-Niklas Beste oder Maximilian Mittelstädt - er begründete vermeintlich strittige Personalien stets mit Statistiken.

Querpass-Toni war einmal

"Es gibt ja diesen Ausdruck Querpass-Toni", sagte Nagelsmann über Kroos und ätzte: "Wer das immer noch schreibt, hat leider gar keine Ahnung vom Fußball." Denn: "Was die Impact-Werte angeht, ist er der mit Abstand beste Mittelfeldspieler in Europa." Damit wird die Zahl der "überspielten" Gegner festgehalten ("Packing-Rate") - ein Schlüsselwert im modernen Fußball. "Darum geht es", sagte Nagelsmann. Kein Profi bringt europaweit mehr lange Bälle an den Mann als Kroos, er soll der flatterhaften DFB-Elf Halt geben.

Newcomer Beste ist eine solch wichtige Rolle (noch) nicht zugedacht, obwohl Nagelsmann sie dem Heidenheimer durchaus zutrauen würde. Sieben Tore, zehn Vorlagen, dazu beim Kreieren von Chancen ein Platz unter den besten zwei Prozent der Spieler aus Europas Top-Ligen: "Bei diesen Werten", sagte der Bundestrainer, "musst du ihn auf Nationalmannschafts-Niveau testen."

Wie Mittelstädt. "Wir versuchen ja immer, Dinge mit Werten zu belegen", begründete Nagelsmann dessen Einladung und erläuterte: "Er ist auch statistisch gesehen mit Abstand der beste Linksverteidiger der Bundesliga und einer der top vier Linksverteidiger der Welt. Sprich, das ist nicht nur ein subjektiver Eindruck - sondern ein objektiv belegbarer durch Daten."

Mittelstädt musste "ein bisschen schmunzeln", als er von dieser Aussage hörte, wenngleich er die Statistik "schön" findet. "Aber", sagte der VfB-Profi, "es zählt nicht die Statistik, sondern die Leistung auf dem Platz". Das weiß auch Nagelsmann. Daten sollten Trainern "helfen, mit deinen Spielern zu arbeiten", sagte er mal. Indem er sie beachte, "kontrolliere ich meine Gefühle und Beobachtungen" - und treffe dann Entscheidungen. Wissenschaftlich begründet, mit einem Schuss Bauchgefühl.