Lionel Scaloni: Vom fünften Assistenten zum gefeierten Nationaltrainer

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Lionel Scaloni: Vom fünften Assistenten zum gefeierten Nationaltrainer

Lionel Scaloni will nach der Copa America jetzt auch die Weltmeisterschaft gewinnen.
Lionel Scaloni will nach der Copa America jetzt auch die Weltmeisterschaft gewinnen.AFP
Einer der Favoriten auf den WM-Titel in Katar ist einmal mehr Argentinien. Für Lionel Scaloni, den Trainer der Albiceleste, der 2018 nur durch eine Verkettung von glücklichen Umständen auf die Bank der Südamerikaner gelangte, ist Katar der vorläufige Höhepunkt eines unerwarteten Triumphzugs.

Am 2. Juni 2017, dem Tag, an dem Jorge Sampaoli (62) als argentinischer Nationaltrainer berufen wurde, änderte sich das Leben von Lionel Scaloni (44) für immer – aber das wusste er zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Scaloni war Mitglied des technischen Stabs von "Sabio de Casilda" (dt.: „des Weisen aus Casilda“) während seiner ersten Zeit in Sevilla. Zur selben Zeit als Sampaoli plötzlich das Angebot des Argentinischen Fußballverbands auf den Nationaltrainerposten bekam. Eine Entscheidung, die in Argentinien im Nachhinein als fatal angesehen wird.

Das Turnier in Russland vor vier Jahren war für Argentinien eine Enttäuschung. Ein Trainer, der versuchte, eine biedere Mannschaft mit Strenge und Feuer zu führen und eine Mannschaft, die nicht in der Lage war, fußballerisch zu überzeugen. Die Niederlage im Achtelfinale gegen den späteren Weltmeister Frankreich (4:3) war knapp und sicher nicht in erster Linie Sampaoli anzulasten. Vielmehr wurde ihm ein Mangel an Entscheidungsstärke und Charakter vorgeworfen, zudem fehlender Wille, aus den zahlreichen guten Einzelspielern ein Team zu formen.

Überwältigt von der Macht der "mesa chica" – also des Tisches, an dem nur Lionel Messi (35), Javier Mascherano (38) und einige andere auserwählte Freunde wie Ángel Di María (34) und Sergio Agüero (34) aßen – wurde Sampaoli ein Jahr nach seiner Ankunft entlassen. Mit ihm musste auch der ganze Trainerstab gehen, mit Ausnahme von Lionel Scaloni. Er folgte seinem Lehrmeister nicht, sondern erkannte, dass er vor einer außergewöhnlichen Gelegenheit stand. Man sprach von Verrat und Opportunismus. Warum?

Eine moralische Schuld

Die Geschichte zwischen Sampaoli und Scaloni begann früh, nämlich Ende der 1990er Jahre: Zu Beginn seiner Trainerkarriere in der Provinz Santa Fe profitierte Sampaoli von seiner Freundschaft mit dem Vater des heutigen Nationaltrainers, Lionel Scaloni senior. So ergatterte er seinen ersten Trainerposten bei Mannschaften in der Provinz, während der junge Lionel Scaloni bei Newell's Old Boys debütierte.

Etwa 22 Jahre nach Beginn dieser Freundschaft revanchierte sich Sampaoli beim Vater, indem er seinen Sohn als fünften Assistenten mitnahm, zunächst nach Sevilla und dann in die Nationalmannschaft. Trotz dieses Gefallens fühlte sich Scaloni Jr. keineswegs verpflichtet, die Nationalmannschaft nach dem Schiffbruch in Russland zu verlassen. Im Gegenteil: Er wurde zum Interimstrainer ernannt und blieb als einziger von Sampaolis Mitarbeitern an Bord. Später gab Scaloni in einem Interview mit DirecTV an, danach nie wieder mit Sampaoli gesprochen zu haben.

Von diesem Moment an zeigte Scaloni, für den das Nationalteam die erste Station als Cheftrainer war, dass er in seiner Zeit als Assistent einiges gelernt hatte: Bei der Weltmeisterschaft in Russland hatte er gute Beziehungen zu Führungsspielern wie Javier Mascherano und Lionel Messi aufgebaut, auch persönlich hatte er sich weiterentwickelt. Er verstand, wie wichtig die soziale Komponente beim Aufbau einer Mannschaft ist.

Scaloni ist es gelungen, ein Team um Lionel Messi zu formen.
Scaloni ist es gelungen, ein Team um Lionel Messi zu formen.Profimedia

Eine Gruppe formen

Scaloni war bei weitem nicht der einzige Kandidat für den Job, viel mehr hatten renommierte Kollegen wie Diego Simeone (52) und Mauricio Pochettino (50) den Job abgelehnt. Nicht unverständlich, war der Posten des Nationaltrainers in Argentinien in den vergangenen Jahren doch eher ein Schleudersitz. Weit entfernt vom Profil des Strategen, der von Gegenpressing oder Tiki-Taka besessen ist, verstand Scaloni schnell, dass er Harmonie im Team herstellen musste, um erfolgreich zu sein.

Dass Argentinien mit einer geschlossenen, harmonischen und zielstrebigen Gruppe nach Katar kommt, ist Scaloni zu verdanken. Er war es, dem im Gegensatz zu seinem Vorgänger nicht auf Autorität, sondern auf Kooperation setzte. Eine Art, die in der mit Stars gespickten Mannschaft ankommt und die Ego-Trips vergangener Jahre vergessen lässt. Natürlich herrscht auch bei der Albiceleste keine Wohlfühloase: Dafür sorgen „Schleifer“ wie Walter Samuel (44), Roberto Fabián Ayala (49) und Pablo Aimar (43), drei erfahrene Haudegen mit vielen Erfolgen im Rücken und der richtigen Portion Bosheit.

Mit genügend Zeit, dem Vertrauen für die Schlüsselspieler und dem Bewusstsein, Messi auf und neben dem Platz glücklich machen zu müssen, verlebt der ehemalige Lazio-Spieler Scaloni eine solide und erstaunlich skandalfreie Amtszeit. Wurde er zu Beginn noch belächelt, hat er sich spätestens mit dem Gewinn der Copa America, der ersten nach 28-jähriger Leidenszeit, im vergangenen Jahr endgültig in der Spitze etabliert.

Nun hat Scaloni die Chance, sich auf globaler Ebene zu beweisen. Mit der Begeisterung eines ganzen Landes im Rücken, das nichts lieber tun würde, als den Unterschätzten erneut um Verzeihung zu bitten.