Favorit: Brasilien
Wo Brasilien auch dabei ist, die Seleção wird immer zum Kreis der Titelfavoriten gehören. Diesmal scheinen die Hoffnungen besonders groß zu sein. Dass Trainer Tite seine bereits zweite Weltmeisterschaft absolvieren darf, gilt im Lande des fünffachen Weltmeisters als Ausnahme, üblicherweise war ein vorzeitiges Ausscheiden bei einer WM ein Sargnagel für den amtierenden Cheftrainer. Tite konnte trotz einer für brasilianische Verhältnisse defensiven Spielweise in Amt und Würde bleiben. Bei der WM in Russland hatte Brasilien im Viertelfinale gegen Belgien das Nachsehen.
Joga Bonito steht im penibel strukturierten System des Altmeisters Tite zwar weiterhin nicht im Vordergrund, gezwungenermaßen passte der Copa América-Sieger von 2019 seine Spielweise aber an die kreativen Fähigkeiten seiner Mannschaft an. Superstar Neymar agiert als hängende Spitze, wo neben seinen Qualitäten im Abschluss und im Dribbling auch sein unterschätztes Talent als Spielmacher zur Geltung kommt. Mit seinen Pässen in die Schnittstelle ist er für Sturmspitze Richarlison eine gute Ergänzung.
Die Leistungsdichte im brasilianischen Team an gewissen Positionen ist kaum zu übertreffen. Für die vier Positionen in der Offensive kommen auch noch Gabriel Jesus, Vinicius Junior, Rodrygo, Raphinha und der bei Flamengo in der heimischen Liga spielende Stoßstürmer Pedro infrage. Viele Spieler also, die bereits von hoffnungsvollen Talenten zu Vollprofis herangewachsen sind.
Auf der Torhüter-Position sind zwei spielstarke Schlussmänner vorzufinden, die nicht nur im Nationalteam, sondern auch in der Premier League direkte Konkurrenten sind. Liverpools Alisson hat gegen Man Citys Ederson die besseren Karten und wird Tites Nummer eins sein. Der dritte Keeper heißt Wéverton und ist ein wichtiger Talisman. Bei allen bisherigen WM-Titeln stand zumindest ein Palmeiras-Akteur im Aufgebot.
In der Innenverteidigung sind Thiago Silva und Marquinhos gesetzt. Das Verständnis zwischen den beiden Weltklasse-Innenverteidigern ist bestens. Mit keinem anderen Spieler stand Kapitän Silva öfters gemeinsam auf dem Rasen, als mit PSG-Abwehrboss Marquinhos (224-mal). Diese fast idealen Voraussetzungen werden von den Schwächen auf den Außenverteidiger-Positionen kontrastiert. Rechts wird sich wohl der gelernte Innenverteidiger Éder Militão beweisen, links wirkt Alex Telles bzw. Alex Sandro als Downgrade im Vergleich zum restlichen Team.
Star der Mannschaft: Es kann nur einen geben: obwohl Brasiliens Auswahl ein gutes Dutzend Weltstars beherbergt - kaum ein Spieler verfügt über eine mit Neymar vergleichbare Strahlkraft. Für seine Schwalben ist der 121-fache Nationalspieler ebenso berüchtigt wie für seine einzigartige Ballbehandlung berühmt.
Größter Erfolg: Weltmeister 1958, 1962, 1970, 1994, 2002
Flashscore-Prognose: Es wird Zeit, die "Hexa-"Jagd zu beenden. Brasilien ist absoluter Titelfavorit. Die Euphorie im Heimatland ist trotz eines für brasilianische Verhältnisse ungewöhnlichen Trainers groß. Die Gruppenphase sollte trotz starker Gegner kein Problem werden. Im Achtelfinale wartet voraussichtlich Portugal oder Uruguay auf den Rekord-Weltmeister. Dass die Brasilianer mit der kampfbetonten Spielweise Uruguays oft Probleme haben, bewies nicht nur die jüngere Vergangenheit. Solange man jedoch Angstgegner und Erzrivale Argentinien aus dem Weg geht, kann diese Seleção jeden Gegner besiegen.
Verfolger: Serbien
Zugegeben, das Rennen in Gruppe G könnte richtig eng werden. Serbien konnte in den letzten Jahren bei den Endrunden nie ganz überzeugen, als Serbien-Montenegro bei der WM 2006, danach als komplett eigenständige Nation kam man weder 2010 in Südafrika, noch 2018 in Russland über die Gruppenphase hinaus. Die Hoffnung ist groß, dass der einstige Weltklasse-Spielmacher Dragan Stojković das geschrumpfte Land näher an die fußballerischen Erfolge Jugoslawiens heranführen wird.
Aufgrund der mehr als überzeugenden Qualifikation, während der man auch den Weltranglisten-9. Portugal hinter sich lassen konnte und eines mit Serie A-Profis gespickten Kaders sehen wir Serbien aktuell stärker als die Schweiz. Anführer auf dem grünen Rasen ist sicher Lazios Sergej Milinović-Savić. Vieles steht und fällt mit dem großgewachsenen Spielmacher (1,91 m). Der mittlerweile 27-Jährige verkörpert jene Werte, für die Serbien international stehen möchte. Kampfkraft, gepaart mit gesunder Aggressivität und spielerischer Raffinesse.
Der beliebteste Spieler des Landes trägt einen anderen Namen: Aleksandar Mitrović ist Rekordtorschütze Serbiens (50 Treffer) und erzielte in der abgelaufenen Championship-Spielzeit unglaubliche 43 Tore in 44 Partien. Er stieg mit dem FC Fulham auf, wo er etliche Kritiker zum Verstummen bringen konnte. Mitrović wird gerne vorgeworfen, von seiner physischen Präsenz stark abhängig zu sein, seine Torquote auf Spitzenniveau aber nie bestätigt zu haben. In der laufenden Premier League-Saison traf er immerhin neunmal in zwölf Begegnungen.
Grundsätzlich agiert Serbien in einem 3-5-2, wobei der Fokus klar auf dem Spiel über die Außenbahnen liegt. Mitrović ist ein Spieler, der gerne im Strafraum auf Kopfballsituationen lauert - mit dem linken Schienenspieler Filip Kostić hat er einen kongenialen Flankengeber im Team. Kostić Juve-Teamkollege Dušan Vlahović macht die zweite Spitze und strahlt dank seiner starken Schusstechnik immer Torgefahr aus. Dahinter organisiert Milinković-Savić zusammen mit Dušan Tadić das Spiel nach vorne. Serbiens Schwachstelle ist wohl die Defensive.
Star der Mannschaft: Auf Sergej Milinković-Savić ruhen viele Hoffnungen. Der in Österreich aufgewachsene Lazio-Leistungsträger ist ein aufbrausender Spieler, der mit seiner forschen Art nicht überall Sympathien einheimst. Umso beliebter ist Milinković-Savić in seinem Heimatland. 2015 kostete Nationaltrainer Svaloljub Muslin die Nicht-Einberufung des Spielmachers gar den Job. Sergejs jüngerer Bruder Vanja befindet sich als dritter Torhüter auch im serbischen Kader. Dies nur nebenbei erwähnt.
Größter Erfolg: WM-Teilnahmen 2006, 2010, 2018
Flashscore-Prognose: Vielerorts wird Serbien als "dark horse" gehandelt, als Geheimfavorit mit Potenzial für die ganz große Überraschung. Die serbischen Adler stehen für spielerische Stärke, eine sehr physische Spielweise und ein schnell überkochendes Gemüt. In der Gruppenphase setzt sich die Truppe von Stojković knapp durch, das Aus folgt auf dem Fuß: im Achtelfinale.
In Lauerstellung: Schweiz
Die Schweiz hat bei verschiedenen Turnieren bereits bewiesen, auch vermeintliche Favoriten in die Knie zu zwingen. Bei der letzten EM hatte Weltmeister Frankreich im Achtelfinale das Nachsehen. Nati-Keeper Yann Sommer brachte mit einem gehaltenen Elfmeter Superstar Kylian Mbappé in Erklärungsnöte. Der Mönchengladbach-Schlussmann ist unumstrittener Führungsspieler bei den Eidgenossen. Ob Sommer bereits im ersten Gruppenspiel auf dem Rasen stehen kann? Im DFB-Pokal verletzte er sich am Sprunggelenk - zur Freude Kameruns. Dass Ersatzmann Gregor Kobel beim BVB leistungstechnisch an die Leistungen Sommers anknüpfte, lässt etwaige Kopfschmerzen bei Trainer Murat Yakin aber rasch schwinden.
Anführer von Yakins Mannschaft ist Granit Xhaka. Der zentrale Mittelfeldspieler war bei Arsenal lange umstritten, in der laufenden Spielzeit hat er umso größeren Anteil an der aktuellen Tabellenführung in der Premier League. Bei den Schweizern gilt er als Lautsprecher, Anführer und guter Kumpel von Außenstürmer Xherdan Shaqiri. Der 31-jährige Angreifer wird den Ruf des gescheiterten Talents wohl nie ganz los, dass er bei Chicago Fire mit starken Leistungen aufzeigt, ändert daran wenig. Für die Schweizer Nationalmannschaft ist er jedenfalls ein sehr wichtiger Faktor.
Insgesamt verfügt die Schweiz über eine auf allen Positionen ähnlich gut besetzte Mannschaft, kein Mannschaftsteil fällt positiv oder negativ vollkommen aus dem Rahmen. Kein Nachteil für die Alpenländer. In der WM-Qualifikation konnten sie Italien ins Playoff zwingen, in der Nations League konnte Yakins Mannschaft Portugal, Spanien und Tschechien je einmal besiegen. Ein in Deutschland leicht in Verruf geratener Spieler glänzte da wie dort als mehrfacher Torschütze: Breel Embolo dürfte in Katar zu reichlich Einsatzzeit kommen.
Star der Mannschaft: Die wenig aufschlussreiche Antwort: das Team. Obwohl wir uns im von Social Media geprägten 21. Jahrhundert befinden, kein Schweizer Kaderspieler scheint damit Probleme zu haben, sich unterzuordnen. Etliche Spieler konnten bereits in den besten Ligen Europas ihre Lorbeeren verdienen. Egal ob Newcastles Fabian Schär, Citys Manuel Akanji oder Xhaka und Shaqiri: das Kollektiv steht bei der Schweiz immer im Vordergrund.
Größter Erfolg: EM-Viertelfinale 2021, WM-Viertelfinale 1934, 1938, 1954
Flashscore-Prognose: Wie gern würde die Schweiz an den Erfolg bei der Europameisterschaft anknüfen - doch trotz guter Verfassung, am Ende liegen weder Brasilien noch die formstarken Serben in Reichweite. Trotz großer Erwartungshaltung und viel Demut setzt es das frühe Aus in Gruppe G.
Außenseiter: Kamerun
Armes Kamerun! Dass Stürmerlegende Samuel Eto'o sein Land als einen der Top-Favoriten sieht, hat weniger mit den sportlichen Verhältnissen als mit der Fantasie des aktuellen kamerunischen Verbandspräsidenten zu tun. Kamerun wird ein heroischer Finalerfolg gegen Marokko vor allem deshalb durch die Lappen gehen, weil sich Gruppe G mit drei formstarken Gegnern als zu schwierig erweist.
Der einstige Abwehrchef Rigobert Song übernahm im März 2022 die Geschicke bei der traditionsreichen Fußballnation. Song war selbst dreimal WM-Teilnehmer und weiß, wie es sich anfühlt, das Nationaltrikot zu tragen. Mit Legenden-Aura und Motivationsreden können Vollblutprofis aber längst nicht mehr vom Trainer überzeugt werden. Dass der autokratisch regierende Staatspräsident Songs Engagement verordnet hatte, spricht Bände über die chaotischen Zustände in Kameruns Fußball.
Eric Maxim Choupo-Moting, einem der formstärksten Stürmer Europas, kam die Entlassung von Songs Vorgänger - dem Portugiesen Sérgio Conceição - trotzdem einigermaßen gelegen. Choupo-Moting hatte angekündigt, nicht mehr für Kamerun aufzulaufen, sollte der Portugiese länger im Amt bleiben. Die jüngsten Testspiel-Ergebnisse - man verlor gegen Usbekistan und Südkorea, gegen Jamaika und Panama reichte immerhin zu Unentschieden - sind Vorboten einer möglichen Katastrophen-WM.
Auf dem Platz setzt Rigobert Song auf ein 4-3-3, wobei Karl Toko Ekambi eine wichtige Rolle spielt. Mit seinen Dribblings und seiner Geschwindigkeit ist er eine ideale Ergänzung für Zielspieler Vincent Aboubakar. Im zentralen Mittelfeld zieht Napoli-Spieler André-Frank Zambo Anguissa die Fäden. Klare Schwachstelle des fünffachen Afrika-Cup-Siegers ist die Defensive, wenngleich Inter-Tormann André Onana nach knapp einjähriger Dopingsperre allmählich wieder zu alter Form fand.
Star der Mannschaft: Auch wenn er in Kameruns Nationalteam nie unumstritten war: Eric Maxim Choupo-Moting müsste eigentlich gesetzt sein. Seit Wochen ist er einer der prägendsten Spieler bei Bayern München und gilt gemeinhin als würdiger Lewandowski-Ersatz. Mit seinen intelligenten Laufwegen und einer sehr guten Technik könnte der Deutsch-Kameruner zur wichtigsten Waffe der unbezähmbaren Löwen werden.
Größter Erfolg: Afrika-Cup-Gewinner 1984, 1988, 2000, 2002, 2017, WM-Viertelfinale 1990
Flashscore-Prognose: Desaströses Aus in der Vorrunde. Kamerun ist nicht nur sportlich betrachtet eine Nation, die sich durch überhöhte Ansprüche selbst blockiert. Die Zustände im Verband und die fragwürdige Bestellung Rigobert Songs zum Teamchef - aus dieser Gruppe gibt es für das westafrikanische Land kein erfolgreiches Entkommen.