Im Jogginganzug zum großen Titel - Scalonis Argentinier wollen Frankreich bezwingen

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Im Jogginganzug zum großen Titel - Scalonis Argentinier wollen Frankreich bezwingen

Das große Finale: Scaloni gegen Deschamps
Das große Finale: Scaloni gegen DeschampsAFP
Die Anspannung ist gigantisch - in Argentinien noch eher als in Frankreich. Der Titelverteidiger geht die Vorbereitungen auf das Finale am Sonntag (16 Uhr/ live auf ARD, Magenta TV, Flashscore Audiostream) etwas ruhiger an als die Albiceleste. Die hohe Kaderdichte und der Umstand, das große Ziel bereits 2018 erreicht zu haben, nehmen viel Druck von Les Bleus. Aus Sicht der Südamerikaner hängt nahezu alles vom letzten Spiel der WM 2022 in Katar ab.

Mit höchster Wahrscheinlichkeit wird es Messis letzter Auftritt auf einer WM-Bühne sein. Die letzte Chance für ihn, sich in der Heimat auf eine Stufe mit Gottvater Diego Maradona zu heben. Der argentinische Floh erreichte im Verlaufe dieses Turniers eine neue Höhe. Wer die WM-Auftritte von La Pulga zwischen 2006 und 2018 mitverfolgt hat, weiß um die Divergenz zu seinen einst imposanten Auftritten im Barça-Trikot. Nie hatte er seine Spielweise auf jene der Nationalmannschaft übertragen können. Dass dem sechsfachen Weltfußballer trotz mangelnder Integrierung 96 Tore in 171 Spielen gelangen, spricht für seine auch unter schwierigen Bedingungen nie verborgen gebliebenen fußballerischen Fähigkeiten. 

Das französische Team präsentiert sich vor dem großen Finale betont unaufgeregt
Das französische Team präsentiert sich vor dem großen Finale betont unaufgeregtAFP

Die Erklärungen für Messis Scheitern waren so zahlreich wie das Scheitern an sich. Mal habe der Trainer nicht gewusst, mit Messis Qualitäten umzugehen. Mal habe Messis lang gepflegte Zurückhaltung nicht zur argentinischen Kämpfernatur gepasst. Mal habe er einen Streik angezettelt und Unruhe in die Mannschaft gebracht. Warum 2022 vieles anders ist? Weil Lionel Scaloni ein Taktikfuchs, sein Namensvetter Messi mittlerweile ein Großmaul ist - und weil sich die Mannschaft ganz in die Dienste des Superstars stellt.

Während Scalonis französisches Pendant Deschamps die Fähigkeit besitzt, die Qualitäten seiner Stars so einzusetzen, dass sie nicht einander blockieren, ist Scaloni ein Trainer mit deutlich modernerem Ansatz. Positionsspiel und taktische Variabilität zeichnen den 44-Jährigen aus. Einst Assistent von Jorge Sampaoli, hatte der einstige Verteidiger nach der erfolglosen WM in Russland (Aus im Achtelfinale, 3:4-Niederlage gegen Frankreich) unverhofft das Amt des Nationaltrainers zuerkannt bekommen.

Das Missverständnis Sampaoli war dem traditionell klammen argentinischen Verband teuer zu stehen bekommen. Für einen weiteren Startrainer war kein Geld da. Ohne große Rückendeckung - insbesondere bei den Fans herrschte Skepsis vor - und mit noch keinerlei Erfahrung als Cheftrainer übernahm er zusammen mit alten Weggefährten die Kontrolle: im Betreuerstab aktiv sind unter anderem Wálter Samuel, Roberto Ayala und Messi-Idol Pablo Aimar.

Mehr als das Duell Messi-Mbappé? Dieser kosovarische Mosaikkünstler lässt sich nicht in seiner Arbeit aufhalten
Mehr als das Duell Messi-Mbappé? Dieser kosovarische Mosaikkünstler lässt sich nicht in seiner Arbeit aufhaltenAFP

Scaloni ist nicht nur dafür bekannt, dessen beste Version aus Lionel Messi herauszukitzeln - sondern auch für seine bescheidene Art, seinen Jogginganzug und seine Qualitäten im Teambuilding. "Es wird die mannschaftliche Geschlossenheit entscheiden, nicht ein einzelner Spieler", sagte der Trainer des zweimaligen Weltmeisters, auf die von vielen Medien hochstilisierte Messi-Mbappé-Rivalität angesprochen. Bei der letzten Pressekonferenz vor dem Endspiel präsentierte sich Scaloni selbstbewusst: "Wir können Geschichte schreiben, und wir sind in einer guten Verfassung."

Einen Copa América-Sieg (2021), eine unfassbare Serie von 36 Spielen in Folge ohne Niederlage und einen Finaleinzug später, wissen nicht nur argentinische Fußballfans von Scalonis kommunikativen und strategischen Fähigkeiten. Gegen die Niederlande stellte er überraschend auf eine Dreierkette um, gegen Kroatien verdichtete Leandro Paredes das Zentrum, Altstar Di María blieb auf der Bank. Egal, was der Trainer entschieden hatte, das Konzept ging auf - von der unglücklichen, aber lehrreichen Auftaktniederlage gegen Saudi-Arabien abgesehen.

Argentiniens Paredes unterstrich im Halbfinale seine Qualitäten als Abräumer
Argentiniens Paredes unterstrich im Halbfinale seine Qualitäten als AbräumerAFP

Auch Frankreich leistete sich im Turnierverlauf eine peinliche Niederlage. Allerdings unter völlig anderen Umständen. Australien und Dänemark waren bereits bezwungen, Les Bleus als Gruppensieger festgestanden. Also lief im abschließenden Vorrundenspiel gegen Tunesien eine B-Elf auf. Ohne Superstar Kylian Mbappé, ohne einem bei dieser WM zur Höchstform auflaufenden Antoine Griezmann und ohne Kapitän Hugo Lloris reihte sich auch der unschlagbar geglaubte Weltmeister in die Riege der "Sensationsopfer" ein. Während Tunesiens 1:0-Sieg bloß Konsequenz überbordender Rotation war, stellte das drohende Vorrundenaus für Argentinien mehr dar, als ein furchteinflößendes Hirngespinst. 

Die zum Melodrama neigende argentinische Seele hatte den großen Triumph bereits abgeschrieben - und insgeheim auf einen überzeugenden Erfolgslauf mit dem WM-Pokal als Endstation spekuliert. "Es ist komplett verrückt, aber wir haben uns von Spiel zu Spiel gesteigert. Es war ein schwieriger Weg, jetzt sind wir fast am Ziel. Den letzten Schritt wollen wir auch noch gehen", fasste Torhüter Emiliano Martínez die argentinische Reise zusammen.

Den letzten Schritt möchte sich auch das auf den einzelnen Positionen besser besetzte Frankreich sichern. Kein Team ohne Schwachstellen, doch eines mit dutzenden, die Makel aufwiegenden Stärken. Varane und Upamecano bzw. Konaté geben den Offensivstars Mbappé und Dembélé die nötige Sicherheit, um in der Offensive größere Risiken einzugehen.

Vor einem Finale einen Favoriten zu nennen, ist selten besonders klug. Beide Teams haben in den abgelaufenen vier Wochen großartiges geleistet. Dennoch ist klar, dass ein argentinischer Erfolg die größere Überraschung wäre als ein französischer. Hitzige Wortgefechte musste sich Deschamps Truppe bislang nicht liefern. Frankreich kam durch das Turnier, ohne sich je an die absolute Leistungsgrenze begeben zu haben. 

Im Duell zwischen Argentinien und den Niederlanden setzte es einen neuen Gelb-Rekord, die WM in Katar war größtenteils Krampf. Man könnte also das Endspiel am Sonntag als Schlusspunkt der zwei großen Gegensätze dieses Turniers stilisieren: Mentalität und Teamgeist gegen Kompromisslosigkeit und individuelle Klasse. Der polnische Schiedsrichter Szymon Marciniak bereitet sich jedenfalls auf einen betriebsamen Arbeitstag vor.

Das Personal: Argentinien

"Ich weiß nicht, woher Sie wissen wollen, dass es De Paul nicht gut geht", hatte Scaloni auf Fragen bei der Pressekonferenz zurechtweisend reagiert. Rodrigo de Paul, Messis großer Zuarbeiter und Rituspartner beim täglichen Mate-Tee-Trinken, schien nach dem Halbfinale angeschlagen zu sein. Im Gegensatz zu Ángel di María - der einstige Weltstar spielte in den letzten zwei Partien keine nennenswerte Rolle. Zunächst hatte er angeschlagen ausgesetzt, dann schienen taktische Überlegungen im Vordergrund zu stehen. Fit für das Finale wäre er. Es ist jedoch anzunehmen, dass dem Juve-Flügelstürmer nur eine Jokerrolle zuteilwird.

Papu Gómez ist wegen einer Knöchelverletzung fraglich, ist für die Startelf aber ohnehin kein Thema. Marcos Acuña hat seine Gelbsperre abgesessen und wird Tagliafico wohl wieder auf die Ersatzbank drängen. Angesichts der französischen Offensivpower ist davon auszugehen, dass Scaloni wieder auf Dreierkette umstellt.

Voraussichtliche Aufstellung von Argentinien:

Emiliano Martínez - Cristian Romero, Nicolás Otamendi, Lisandro Martínez - Nahuel Molina, Enzo Fernández, Rodrigo de Paul, Alexis Mac Allister, Marcos Acuña - Lionel Messi, Julián Álvarez

Das Personal: Frankreich

"Alle sind vorsichtig. Die Ärzte haben ein Hygienesystem etabliert, um zu verhindern, dass das Virus sich ausbreitet", so Frankfurt-Star Randal Kolo Muani vor dem wichtigen Endspiel. Was hinter diesen Worten steckt? Eine echte Grippewelle, die das französische Nationalteam pünktlich vor dem wichtigsten Spiel seit vier Jahren erfasst hat. Adrien Rabiot, so hört man, sei ebenso fleißig mit Teetrinken beschäftigt wie Dayot Upamecano. Auch Ersatzspieler Coman sei fraglich.

Nebenbei war intensiv über Karim Benzema diskutiert worden. Vor Turnierbeginn hieß es, der Weltfußballer falle für das gesamte Turnier verletzt aus. Weil für den Real-Star kein direkter Ersatz nominiert worden war, verfügt er unverändert über eine Spielberechtigung für die WM in Katar. Vor wenigen Tagen tauchten erste Gerüchte auf, er könne zum Team reisen, um den Titelverteidiger im Finale zu unterstützen. Die Galaktischen genehmigten nach erfolgter Genesung dessen Reise zum französischen Team - mehr als ein Kurzeinsatz ist für Benzema aber mit Garantie nicht angedacht.

Voraussichtliche Aufstellung von Frankreich:

Hugo Lloris - Jules Koundé, Ibrahima Konaté, Raphaël Varane, Theo Hernández - Aurélien Tchouaméni, Eduardo Camavinga - Ousmane Dembélé, Antoine Griezmann, Kylian Mbappé - Olivier Giroud