Doch nun, da Musiala kurz vor seinem Comeback steht, stellt sich eine heikle Frage: Was passiert mit dem Shootingstar, der die Lücke nicht nur geschlossen, sondern die Aufmerksamkeit von Fans weltweit auf sich gezogen hat?
Der Moment, der alles veränderte
Als sich Musiala beim Klub-WM-Spiel nach einem heftigen Zusammenprall mit PSG-Torwart Gianluigi Donnarumma einen Wadenbeinbruch mit Sprunggelenksluxation zuzog, verlor Bayern das kreative Herzstück eines bis dahin hervorragend funktionierenden Mittelfelds. Für Trainer Vincent Kompany war die Situation alarmierend: Nur sechs Wochen vor dem Bundesliga-Start gab es keinen adäquaten Ersatz für den Ausnahmespieler.
Musiala hatte sich in den Jahren zuvor als unverzichtbar etabliert: jüngster Bayern-Spieler mit 100 Einsätzen, wichtiger Leistungsträger der deutschen Nationalmannschaft, Spielmacher mit außergewöhnlichem Dribbling, Kreativität und Nervenstärke. Für viele gilt er bereits als künftiger Ballon-d’Or-Kandidat.
Abschiede, Absagen – und kein Wirtz
Die Personalsituation verschärfte sich zusätzlich. Thomas Müller verließ den Klub nach 25 Jahren, über 700 Pflichtspielen und mehr als 20 Titeln. Leroy Sané entschied sich gegen eine Vertragsverlängerung und wechselte überraschend zu Galatasaray. Und obwohl großes Interesse bestand, verzichteten die Bayern bewusst auf einen Transfer von Florian Wirtz – Medienberichten zufolge wegen einer Ablöse jenseits der 100-Millionen-Euro-Marke und aus Sorge um das interne Gehaltsgefüge. Wirtz zog es stattdessen nach Liverpool.
Der Kader war plötzlich dünn – und der Druck auf Kompany enorm. Ausgerechnet in dieser Phase fand der Bayern-Trainer Musialas Ersatz dort, wo der Verein jahrelang kaum hingeschaut hatte: im eigenen Nachwuchs. Dass Bayern-Talente selten echte Chancen erhalten, ist kein neues Thema. Ex-Nationalspieler Markus Babbel kritisierte bereits zu Beginn der Klub-WM öffentlich den geringen Einsatz junger Spieler.
Die Zahlen unterstreichen das Problem: In der vergangenen Saison sammelten U19-Spieler bei Bayern insgesamt nur 110 Einsatzminuten im Profiteam. Zum Vergleich: Liverpool kam auf 975 Minuten, PSG auf 966, Real Madrid auf 570. Umso bemerkenswerter ist es, dass erst eine schwere Verletzung nötig war, um den Weg für Lennart Karl freizumachen.
Karls kometenhafter Aufstieg
Der offensive Mittelfeldspieler nutzte seine Chance eindrucksvoll. Mit Toren gegen Club Brügge (4:0) und Borussia Mönchengladbach schrieb Karl im Oktober Vereinsgeschichte: jüngster Champions-League-Torschütze des FC Bayern, drittjüngster Bundesliga-Torschütze der Klubhistorie. Seit dem Durchbruch von Thomas Müller 2008 hatte kein deutsches Eigengewächs mehr eine vergleichbare Rolle im Profikader eingenommen.

Weniger als ein Jahr nach seinen Einsätzen in der U19 fordern Fans und Experten bereits seine Nominierung für den WM-Kader 2026. Auch Kompany zeigte sich zuletzt beeindruckt – trotz kleinerer Kritikpunkte.
"Er bleibt immer unglaublich gefährlich. Wenn man in diesem Alter vier- oder fünfmal pro Spiel gefährlich wird, ohne sein bestes Spiel zu machen, ist das außergewöhnlich", sagte der Trainer nach Karls Auszeichnung zum "Man of the Match" in der Champions League gegen Sporting Lissabon (3:1).
Das Luxusproblem: Musiala oder Karl?
Mit Musialas Rückkehr droht Karls Märchen jedoch ins Stocken zu geraten. Beide fühlen sich im offensiven Zentrum am wohlsten, können aber auch auf dem Flügel spielen. Dennoch ist klar: Musiala ist der Fixpunkt des Bayern-Spiels – sportlich wie strategisch.
Die entscheidende Frage lautet daher nicht, ob Musiala spielt, sondern wie Karl weiterentwickelt werden kann, ohne ihn nach seinen Leistungen wieder auf die Bank zu setzen. In einem Klub, in dem Titel und Ergebnisse Priorität haben, ist diese Gratwanderung besonders schwierig.
Für Vorstandschef Jan-Christian Dreesen ist die Diskussion ein positives Signal: "Ich finde diese Debatte bemerkenswert. Im Spätsommer haben wir oft über den dünnen Kader gesprochen. Damals habe ich gesagt, dass ein kleiner Kader große Chancen für Talente bietet. Das haben wir jetzt gesehen", erklärte Dreesen: "Lennart Karl hat einen herausragenden Job gemacht."
Ein Signal für einen Kurswechsel?
Er betonte zudem: "Konkurrenz belebt das Geschäft und steigert die Gesamtleistung. Ich bin sicher, der Trainer wird die richtige Lösung finden." Unabhängig davon, wie Kompany das Puzzle zwischen Musiala und Karl löst, könnte Karls Durchbruch langfristige Folgen haben. Beim letzten Spiel des Jahres gegen Heidenheim setzte der Bayern-Trainer gleich sieben Nachwuchsspieler ein – ein deutliches Zeichen.
Vielleicht war es am Ende Musialas Verletzung, die den FC Bayern daran erinnerte, welch enormes Potenzial in der eigenen Akademie schlummert. Lennart Karl könnte somit mehr sein als nur ein Lückenfüller – nämlich der Beginn eines neuen Selbstverständnisses beim deutschen Rekordmeister.
