Ehemaliger Tour-Sieger Carlos Sastre exklusiv: "Pogacar vergeudet unnötig Energie"

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Ehemaliger Tour-Sieger Carlos Sastre exklusiv: "Pogacar vergeudet unnötig Energie"

Carlos Sastre gewann die Tour 2008
Carlos Sastre gewann die Tour 2008Profimedia
Am 23. Juli 2008, etwa 13 Kilometer vor dem Ziel, am Fuße des berüchtigten Anstiegs nach Alpe d'Huez, startete der ehemalige Radprofi Carlos Sastre den wahrscheinlich wichtigsten Angriff seiner Karriere. Es war ein Angriff auf das Gelbe Trikot, das sein Teamkollege Franck Schleck zu diesem Zeitpunkt innehatte. Am Ende sicherte sich der Spanier die Etappe, das Trikot und verteidigte die Führung in der Gesamtwertung bis nach Paris, wo er mit dem Sieg der Tour de France den Höhepunkt seiner Karriere feierte. Flashscore sprach exklusiv mit dem heute 48-Jährigen: über seinen Triumph, die Chancen von Primoz Roglic bei der Tour 2024 und warum Tadej Pogacar noch erfolgreicher sein könnte.

F: Carlos. Du hast die Tour de France im Jahr 2008 gewonnen. Was macht Carlos Sastre im Jahr 2023?

A: Ich versuche, das Leben so gut wie möglich zu genießen. Ich besitze ein kleines Fahrradgeschäft hier in Avila, eine Autostunde von Madrid entfernt. Ich habe die meiste Zeit meines Lebens hier gelebt und meine Eltern stammen von hier. Es ist ein friedliches Leben hier, ich genieße jede Fahrt auf dem Bike.

Klingt nach Radfahren, Tapas und Wein...

Genau, hier gibt es "Chuleton", Rib-Eye-Steak vom Rind, das sehr lecker ist.

Carlos Sastre: Der ewige Arbeiter, der aus dem Schatten springt

Auf globaler Ebene bist du wahrscheinlich der Tour de France-Sieger, über den am wenigsten gesprochen wird. Wie fühlst du dich in dieser Rolle?

Ich bin zufrieden mit meinen Errungenschaften, also ist es mir eigentlich egal, ob viel über mich gesprochen wird oder nicht. Ich bin ein Mensch, der in der Gegenwart lebt und in die Zukunft blickt. Die Vergangenheit ist schön, aber ich lebe nicht in der Vergangenheit. Ich habe 2008 die Tour gewonnen, und es ist immer schön, sich daran zu erinnern. Aber das ist nur für die Erinnerungen, und nichts anderes.

Warum glaubst du, dass die Leute weniger über dich sprechen als über andere?

Ich war schon immer ein Arbeiter. Während eines Großteils meiner Karriere habe ich andere Fahrer unterstützt, wie Tyler Hamilton oder Ivan Basso. Wenn man auf die Geschichte der Tour de France zurückblickt, so war ich bei meiner ersten Teilnahme am Ende nur auf dem 20. Platz. Bei meiner letzten Tour wurde ich 18. Wenn die Leute dich benutzen können, um Geld zu verdienen, werden sie das natürlich tun. Aber ich war schon immer ein bisschen bescheidener und introvertierter. Meine Leute und meine Familie sind mir wichtiger als die öffentliche Aufmerksamkeit.

Die Medien bevorzugen vielleicht das Bild eines großen Stars. Ich bin dagegen außerhalb meines Fahrrads ein ganz normaler Mensch, und ich möchte ein normaler Mensch sein. Das ist vielleicht der Grund, warum ich in den Medien nicht so präsent war wie andere Gewinner der Tour.

Tour de France 2008: Großer Angriff in Alpe d'Huez und Spannungen mit den Schlecks

Was waren die wichtigsten Faktoren für deinen Sieg bei der Tour 2008?

Als ich die Chance dazu hatte, war ich bereit. Vor dem Start der Tour kannte ich das Rennen sehr gut, ich kannte meine Konkurrenten sehr gut. Und ich hatte ein sehr starkes Team, das mich von Anfang bis Ende unterstützt hat. Der Manager Bjarne Riis wusste, dass ich in diesem Jahr bereit war, etwas Besonderes zu schaffen.

Nachdem du in Alpe d'Huez angegriffen und die Etappe und das Gelbe Trikot gewonnen hattest, wirkte Franck Schleck etwas frustriert. Gab es danach Spannungen?

Die Stimmung im Team war gut. Natürlich wollten Franck und Andy Schleck auch für sich selbst gut abschneiden. Sie waren sehr gute Fahrer, aber sie waren damals noch nicht bereit, das Rennen zu gewinnen. Sie fuhren die meiste Zeit der Saison bei anderen Rennen mit als ich, so dass sie nicht wussten, wie gut ich wirklich war. Ich habe mit Riis trainiert, und er sagte gleich am ersten Tag, dass Carlos Sastre bereit für das Rennen sei. Deshalb war ich die Nummer 11, der erste Name des Teams. Natürlich waren sie verärgert, denn als ich in Alpe d'Huez angriff, trug Franck das Gelbe Trikot. Viele Leute waren daraufhin erst einmal schockiert. 

Aber Schleck hat im letzten Zeitfahren mehr als vier Minuten verloren. Hätte ich also an diesem Tag nicht angegriffen, wären wir in der Gesamtwertung vielleicht Zweiter und Dritter geworden. So haben wir es verdient, das Rennen zu gewinnen und unsere Ziele als Team erreicht. Außerdem wussten alle, dass ich am Fuße von Alpe d'Huez angreifen würde. Riis wollte an diesem Tag gewinnen wollte, ich hätte nicht bis zu den letzten zwei oder drei Kilometern warten können.

Sastre: "Pogacar vergeudet unnötig Energie"

Wenn du die Champions von damals und heute vergleichst, was ist der größte Unterschied?

Das ist schwer zu vergleichen. Pogacar und Vingegaard sind sehr junge Fahrer. Zu meiner Zeit haben wir die Grand Tours mit 33 Jahren gewonnen, das ist ein Unterschied von fast 10 Jahren. Heutzutage sind die jungen Fahrer wirklich stark und gut auf den Wettkampf vorbereitet. Aber ich glaube, dass sie während der Rennen zu viele Fehler machen, weil es ihnen an Erfahrung fehlt. Das ist vielleicht der große Unterschied zu uns.

Früher war es etwas ruhiger, wir haben auf den perfekten Moment gewartet, um einen Angriff zu starten. Pogacar zum Beispiel ist spektakulär, aber vielleicht fährt er manchmal zu aggressiv und vergeudet unnötig Energie. Er will zu sehr gewinnen. Aber für die Zuschauer ist es großartig.

Sepp Kuss der Sastre der Neuzeit - Pogacar mit Chancen beid er Tour 2024?

Wenn du einen Radrennfahrer von heute mit dir selbst vergleichen würdest, wer wäre das?

Ich würde mich mit Sepp Kuss vergleichen. Wenn man sich Pogacar oder Vingegaard anschaut, sid das Fahrer, die in der Lage sind, alles zu gewinnen. Das bin ich nicht. Kuss ist ein guter Kletterer, nicht zu schlecht im Zeitfahren und macht sich gut in der Gesamtwertung.

Jetzt, nachdem er die Vuelta a Espana gewonnen hat, wird jeder sagen, dass Pogacar und Vingegaard ihm geholfen haben, die Rundfahrt zu gewinnen. Ich sage 'nein'. Es war Kuss, der jeden Tag gelitten hat, der sein Bestes gegeben hat und die Bergen überstanden hat. Und er hat die Vuelta gewonnen. Natürlich haben ihn die beiden anderen unterstützt, aber er hat sie in den letzten Jahren auch fast immer unterstützt.

Primoz Roglic wird für das deutsche Team Bora - Hansgrohe fahren. Glauben Sie, dass er bei der Tour de France 2024 ein Anwärter auf den Gesamtsieg ist?

Roglic hat es schon einige Male bei der Tour versucht. Bei der letzten Vuelta und dem Giro hat er bewiesen, dass er noch viel Power in den Beinen hat. Es wird schwierig werden, denn Pogacar und Vingegaard sind zwei starke Fahrer, die sich hervorragend auf die Tour vorbereiten und in letzter Zeit den Unterschied ausgemacht haben. Aber es wäre schön, wenn Roglic zu seiner Topform zurückfindet und um den Sieg mitfahren kann.

Das Interview führte: Heik Kölsch
Das Interview führte: Heik KölschFlashscore