"All or nothing": Das Scheitern miterleben - 5 Schlüsselmomente der DFB-Doku

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"All or nothing": Das Scheitern miterleben - 5 Schlüsselmomente der DFB-Doku
Der ehemalige Bundestrainer Hansi Flick.
Der ehemalige Bundestrainer Hansi Flick.AFP
Am 8. September wurde auf Amazon Prime eine “All or nothing”-Dokumentation über die deutsche Nationalmannschaft veröffentlicht. Schritt für Schritt dokumentieren die knapp vier Stunden Filmmaterial das Scheitern bei der Fußball-WM 2022 in Katar. Flashscore präsentiert euch jene Momente, die besonders tief blicken ließen, in denen erste Brüche offenbar wurden.

Clinch mit Kimmich

Zwei Szenen, die es auch in den Trailer zur Amazon-Doku geschafft haben und ganz Fußball-Deutschland schon vor Release rätseln ließen: War die Stimmung im DFB-Camp tatsächlich noch mieser, als wir alle gedacht haben? 

Zuerst legte sich Niklas Süle mit Joshua Kimmich an. “Laber mich nicht voll!”. Einen Schnitt später erklärte Süle nachsichtig, dass Jo Kimmich eben ein schwieriger Charakter sei. Auch Antonio Rüdiger war im Mannschaftstraining mit dem Bayern-Profi aneinandergeraten. Vor versammelter Mannschaft betonte Bundestrainer Flick anschließend, dass solche Streitereien in Ordnung seien, solange es danach eine vernünftige Aussprache gebe.

Joshua Kimmich eckt wohl auch intern an.
Joshua Kimmich eckt wohl auch intern an.AFP

Seit jeher ist Kimmichs Gebaren umstritten. Den Einen ist er zu aggressiv, den Anderen zu angepasst. Die Prime-Doku offenbart: Natürliche Autorität im Stile von Manuel Neuer oder Thomas Müller ist tatsächlich nicht die hervorstechende Charaktereigenschaft des gebürtigen Rottweilers.

Keine Gänsehaut

Die Graugans-Populationen reist nicht nur jedes Jahr in den Süden, sondern alle paar Jahre auch in die Welt des Fußballs. 

2016 versuchte City-Trainer Pep Guardiola anhand der Zugvögel den Begriff Teamwork zu erläutern. Vom Katalanen ist eine bemerkenswerte Ansprache überliefert: “Es war das erste Spiel der Saison nach dem Gewinn der Liga, ich habe den Spielern von den Gänsen erzählt, die in zwei V-Formationen davonziehen, dass die in der zweiten Reihe nicht fliegen und dann die anderen übernehmen - das ist Teamwork. Ich habe zu ihnen gesagt: Diese Gänse fliegen 4.000 Meilen für ein bisschen Sonne. Alles, was ich von euch verlange, ist, dass ihr 38 Spiele spielt, um die Liga zu gewinnen. Ich glaube nicht, dass ich zu viel verlange." 

Die Graugans ist regelmäßig zu Gast im Weltfußball.
Die Graugans ist regelmäßig zu Gast im Weltfußball.Andres Trepte/Wikimedia Commons

Auch der legendäre Sir Alex Ferguson soll das Verhalten der Graugänse bereits als Motivationsboost genutzt haben. Vor dem ersten WM-Spiel gegen Japan versuchte sich schließlich auch Bundestrainer Hansi Flick als Ornithologe. Eine kleine Gänse-Dokumentation sollte das DFB-Team zu Spitzenleistungen motivieren. Zwischen den Applaus danach mischten sich auch ein paar irritierte Gesichter.

Offene Fragen

Im ersten WM-Gruppenspiel gegen Japan gab Deutschland drei Punkte leichtfertig aus den Händen. Auf eine respektable erste Halbzeit folgte eine katastrophale zweite Halbzeit, aus einer 1:0-Führung wurde eine 1:2-Niederlage. Wie das passieren konnte? Es gab zahlreiche Erklärungsansätze, Hansi Flick wollte sie alle wissen. Einen Tag nach der Auftaktpleite forderte er seine Spieler bei der Nachbetrachtung zur Diskussion auf. Die gab es dann auch.

Den zweiten Gegentreffer durch Takuma Asano erklärte Flick recht simpel - mit einer zu hoch positionieren Abwehrkette. Thomas Müller warf ein, dass das auch eine Frage des Stils sei. Wenn man Druck auf einen ballführenden Verteidiger ausüben möchte, macht eine tiefstehende Kette doch keinen Sinn? Ein berechtigter Einwand. 

Die WM begann denkbar unglücklich.
Die WM begann denkbar unglücklich.AFP

Anschließend wagte auch Kimmich Widerspruch, die Mannschaft habe sich im System nicht wohlgefühlt. Anschließend enstand ein aufschlussreicher Diskurs darüber, wie sich das Mittelfeld im Pressing zu verhalten habe. Durchschieben oder sich fallen lassen? Da waren sich die Spieler wohl selbst nicht so sicher. Flicks verständnislose Antwort lässt tief blicken: “Ich weiß nicht, vielleicht rede ich auch irgendwie anders oder habe eine andere Sprache, aber ich glaube genau das haben wir doch gesagt.”

Public Viewing am Pool 

Hätte Japan das zweite Gruppenspiel gegen Costa Rica gewonnen, wäre Deutschland gegen Spanien zum Siegen verdammt gewesen. Grund genug für einige Teamspieler, sich am Swimming Pool zum Public Viewing zu versammeln und Costa Rica die Daumen zu drücken. Das zahlte sich aus, die Mittelamerikaner gewannen das Spiel knapp mit 1:0. 

Es schien ein Moment zu sein, der viele Emotionen löste. Die Spieler ließen sich zu einem Gefühlsausbruch und ausgiebigem Jubel hinreißen. Joshua Kimmich sorgte mit seiner anschließenden Bemerkung für einen tragikomischen Moment: “Am Ende des Tages hat man es fast so sehr gefeiert wie einen eigenen Sieg. Wir wissen jetzt noch nicht, wie sich ein eigener Sieg anfühlt… Aber das hat sich wie ein eigener Sieg angefühlt, weil es echt brutal wichtig war.”

Weit mehr als die Schützenhilfe aus Costa Rica gab es für die DFB-Elf in Katar tatsächlich nicht zu feiern.

Hoffnungsträger auf und neben dem Platz

Neue Eindrücke sind üblicherweise ebenso hellsichtig wie trügerisch. Wer sich in ein neues Team eingliedert, betrachtet die Gruppendynamik mit einer gewissen Naivität - aber auch einer erfrischenden Perspektive. So auch im Fall von Niclas Füllkrug. “Es war schon eine gesunde Harmonie in dieser Mannschaft. das ist mein Gefühl, die ist auch immer noch da”, gab der Mittelstürmer seine ersten Eindrücke wieder.

Vor dem wichtigen und herausfordernden Duell gegen Spanien ergriff der Bundesliga-Torschützenkönig vor versammelter Mannschaft das Wort: "Jungs, ich nehme euch mal mit in meine Gefühlswelt. Hier, bei der WM: Für mich einfach unfassbar. Ich bin einfach voller Stolz, dass ich bei dieser Mannschaft dabei sein darf. So viele geile Typen. Eine Erinnerung, die immer für mich bleiben wird. Die Frage ist, wie sie bleiben wird. Ich will mich an eine erfolgreiche Zeit erinnern. An eine Zeit, die Spaß gemacht hat. An eine Zeit, die uns für immer prägt. Wir wollen das Turnier hier prägen.

Für kurze Zeit wurde Füllkrug zum deutschen Hoffnungsträger.
Für kurze Zeit wurde Füllkrug zum deutschen Hoffnungsträger.Profimedia

Heute wollen wir den ersten Sieg hier einfahren. Ganz wichtiger Sieg. Wir gewinnen das, davon bin ich zu hundert Prozent überzeugt. Wie gewinnen wir das? Indem wir bereit sind. Wenn wir laufen müssen, laufen wir. Wenn wir leiden müssen, leiden wir. Zu hundert Prozent, alle zusammen. Alle, die auf dem Platz stehen, wissen, dass dahinter eine Bank steht, die zu hundert Prozent da ist. Und die wissen, dass auf der Tribüne Familie sitzt, die an diese ganze Mannschaft glaubt. Also lasst uns jetzt richtig hinausgehen und Vollgas geben!

Tatsächlich sollte Füllkrug noch am selben Abend den 1:1-Ausgleich für Deutschland erzielen und so die deutschen Träume aufs Weiterkommen verlängern. Auch beim 4:2-Sieg gegen Costa Rica überzeugte er und erzielte das Tor zum Endstand. Füllkrugs Rede war der vielleicht emotionalste Moment in der gesamten Doku - und vielleicht der Einzige, in dem aus einer zusammengewürfelten Truppe eine echte Einheit wurde.