Eine Sonntagsfrage im Hafen von Monaco brächte wohl ziemlich klare Verhältnisse. Das Fahrerlager der Formel 1 ist sich recht einig darüber, dass etwas falsch läuft an der Spitze des Sports, es herrsche "ein bisschen Durcheinander" bei der FIA, sagte etwa Lewis Hamilton zuletzt, "es braucht ziemlich sicher einige Veränderungen."
George Russell – Vorsitzender der Fahrergewerkschaft – sprach im Laufe der vergangenen, turbulenten Monate gar von "beispiellosen Zeiten", viele Piloten hätten "die Nase voll, es läuft in die falsche Richtung".
Adressat all dieser Äußerungen ist Mohammed Ben Sulayem, Präsident des Automobil-Weltverbandes, und die Situation ist hochinteressant. Der 63-Jährige steht im Dezember zur Wiederwahl, sieht sich aber einer maximal lauten und sichtbaren Opposition gegenüber: Keine Plattform im Motorsport ist annähernd vergleichbar mit der Formel 1, und die hat ihre Wahlempfehlung längst abgegeben.
Sainz senior als Herausforderer
Zwar gibt es noch gar keinen Gegenkandidaten für die Wahl am 12. Dezember in Taschkent, Carlos Sainz senior wird aber seit einigen Wochen als solcher aufgebaut. Im wahrsten Sinne des Wortes.
"Interessanterweise glaube ich, dass es nicht von ihm selbst kam", erzählte Carlos Sainz junior zuletzt, der Sohn des möglichen Herausforderers und aktuell Fahrer beim Williams-Team: "Viele Leute im Fahrerlager haben es ihm in den Kopf gesetzt, und nach und nach begann er, darüber nachzudenken."
Und Sainz senior gefiel der Gedanke. "Es gibt viele Gründe dafür, ich fahre seit mehr als 40 Jahren selbst, dieser Sport hat mir alles gegeben", sagte der 63-Jährige bei motorsport.com: "Jetzt könnte die passende Zeit für den nächsten Schritt in meiner Karriere sein." Sainz ist ehemaliger Rallye-Weltmeister, ist bis heute im Offroad-Sport aktiv und gewann noch im vergangenen Jahr mit Audi die legendäre Rallye Dakar.
Strafenkatalog sorgt für Ärger
Die Formel 1 hat sich also weitgehend festgelegt, macht Stimmung für einen prominenten Herausforderer. Aber wie konnte es überhaupt so weit kommen? Ben Sulayem ist seit 2021 im Amt und bietet seither jede Menge Angriffsfläche. Anders als Vorgänger Jean Todt in seinen letzten Amtsjahren ist Ben Sulayem sehr sichtbar in der Königsklasse, ist ein eingreifender – aus Sicht einiger Aktiver – übergriffiger Präsident.
Wirklich Fahrt nahm der Streit in den vergangenen Monaten auf, Grund war ein scharfer Strafenkatalog, der Fluchen, Zuspätkommen und ähnliches "Fehlverhalten" hart sanktionierte. Die Fahrer wurden immer deutlicher in ihrer öffentlichen Kritik, und auch FIA-intern gab es Verwerfungen.
Einige führende Mitarbeiter wurden von ihren Posten entfernt, andere traten ab. Robert Reid, Vizepräsident für Sport, seinen Rücktritt mit einer "Führungskrise" im Weltverband. Er wolle "den Mitgliedern dienen, nicht der Macht".
Kompliziertes Wahl-Prozedere
Es wirkt also, als stehe Ben Sulayem ein rauher Winter bevor - tatsächlich allerdings gilt seine Abwahl als ziemlich unwahrscheinlich. Denn der Automobil-Weltverband kümmert sich eben nicht nur um die Formel 1, nicht einmal nur um den Motorsport.
Weit mehr als 200 nationale Automobilclubs aus knapp 150 Ländern wählen den Präsidenten, und vor allem außerhalb Europas hat Ben Sulayem wohl einen guten Stand. Das hängt auch mit der Einführung neuer Mobilitäts- und Motorsport-Förderprogramme in Regionen zusammen, die für die FIA zuvor eine geringere Rolle gespielt hatten.
Was die Formel 1 sich wünscht, spielt eben bloß eine untergeordnete Rolle. Eine laute Stimme hat sie dennoch, und es dürfte noch ein lärmiger Herbst werden.