Oscar Piastri verschnaufte für einen kurzen Moment im Interviewmarathon nach dem Rennen in Kanada, prompt bettelte McLaren-Teamkollege Lando Norris um Vergebung. "Sorry, alles meine Schuld", sagte der Brite. Piastri reagierte cool, nahm den Handshake an und entgegnete: "Es ist okay, ich weiß." Kurz zuvor war ihm Norris wenige Runden vor Rennende im Kampf um Platz vier ins Heck gerauscht und hatte für den ersten großen Knall im WM-Fight der Formel 1 gesorgt.
Norris schnelle Einsicht überrascht
Während Piastri nach dem Zusammenstoß auf der Start-Ziel-Geraden des Circuit Gilles-Villeneuve das Rennen auch als Vierter beendete, schied Norris aus. Nur Sekunden nach dem folgenschweren Crash wusste Norris schon Bescheid, nach einem Schuldeingeständnis bereits am Funk sagte er bei Sky: "Das war nicht mal hartes Racing, das war einfach dumm." Seine schnelle Einsicht war vollkommen korrekt, überraschte dennoch.
Champions wie Lewis Hamilton, Max Verstappen oder in der Vergangenheit Michael Schumacher und Ayrton Senna hätten die Schuld für solch einen klar vermeidbaren Zusammenprall wohl dennoch bei ihren Stallgefährten gesucht. Nur Norris selbst weiß, warum er den offensichtlich unmöglichen Weg über die Innenbahn gegen Piastri wählte und ihm stumpf auffuhr. Außenrum wäre er vor allem für die zweite Kurve optimal positioniert gewesen und wohl vorbeigegangen.
Langjährige Mitarbeiter des Traditionsteams müssen ein Déjà-vu erlebt haben. 2011 kollidierten Hamilton und Jenson Button, zwei Weltmeister, an derselben Stelle in ihren McLaren - allerdings schon in Runde acht und bei Regen.
Piasti hat intern die Nase vorne
Norris bewies in Montréal einmal mehr, dass er unter Druck zu viele Fehler macht und aktuell nicht wie ein angehender Weltmeister fährt. Im Kampf um die Spitze des Klassements fehlen ihm nun 22 Punkte auf Piastri, Tendenz steigend. Sein ohnehin schwankendes Selbstbewusstsein dürfte massiv gelitten haben. "Ich mache mich in einem Moment wie heute lächerlich", so Norris.
Während er im Cockpit den Crash hätte vermeiden können, lag ein Teil der Schuld auch am Kommandostand des Traditionsteams. "Dass sich zwei McLaren berühren, wollen wir nie sehen. Das ist ein klares Prinzip bei uns", sagte Teamchef Andrea Stella. Zugutehielt der Italiener Unfallverursacher Norris, dass es "keine böse Absicht" gewesen sei. Eine klare Stallorder hätte das Debakel aber wohl verhindert.
Konkurrenzkampf kontraproduktiv?
Beide Fahrer wollten im Anschluss nichts von der Notwendigkeit einer Regulierung ihres Zweikampfverhaltens wissen. "Wir versuchen beide, die Weltmeisterschaft zu holen. Wir wollen einfach beide die Gelegenheit haben und so bleibt es fair", sagte Piastri bei RTL. Der Australier blieb auch im Trubel cool - bezeichnend für seine Saison.
Im Fall der Fälle hat Piastri nun schon beim nächsten Rennen in Österreich (29. Juni) die besten Karten, um vielleicht doch vom Team bevorzugt zu werden. Sonst könnte ein neuerlicher Super-GAU bei McLaren wohl nur eine Frage der Zeit sein.