Saisonvorschau Hertha BSC: Zwischen Bundesliga-Sehnsucht und finanzieller Not

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Quo vadis Alte Dame? Hertha BSC zwischen Bundesliga-Sehnsucht und finanzieller Not
Aktualisiert
Viele bei Hertha BSC sehen zu Pal Dardai (r.) auf, doch schafft der Ungar den direkten Wiederaufstieg?
Viele bei Hertha BSC sehen zu Pal Dardai (r.) auf, doch schafft der Ungar den direkten Wiederaufstieg?Profimedia
Zum ersten Mal seit über 10 Jahren spielt Hertha BSC in der kommenden Saison wieder in Liga 2. Nach dem verdienten Abstieg aus der Bundesliga mussten die Berliner alles auf den Kopf stellen und stehen wenige Tage vor Beginn der neuen Spielzeit mit einem an vielen Stellen unfertigen Kader da. Ob der sofortige Wiederaufstieg eine Option ist und an welchen Stellen der Alten Dame Probleme drohen, erfahrt ihr in unserer Saisonvorschau zu Hertha BSC.

Herthas Testspiel-Ergebnisse im Überblick:

Hertha BSC vs. RSV Eintracht 6:0

Hertha BSC vs. BFC Dynamo 2:0

Hertha BSC vs. Young Boys Bern 2:4

Hertha BSC vs. RWD Molenbeek 2:1

Hertha BSC vs. Royal Antwerpen 0:1

Hertha BSC vs. Standard Lüttich 1:1

Hertha BSC: Eine Katastrophe mit Ansage

Niemand soll sagen, der Niedergang von Hertha BSC hätte sich nicht angedeutet. Unter den Anhängern unkte man schon seit Langem über das "Wann" und nicht über das "Ob" des siebten Bundesliga-Abstiegs. Seit der Corona-Saison 2020/21 und der ersten Rettungsmission von Pal Dardai, die mit Zigarren nach dem Klassenerhalt nach einem ermauerten 0:0 gegen den 1. FC Köln endete, spielt der Hauptstadtklub ununterbrochen im unteren Tabellendrittel. 

Fast wöchentlich mussten die Berliner in der Bundesliga Rückschläge einstecken.
Fast wöchentlich mussten die Berliner in der Bundesliga Rückschläge einstecken.Profimedia

Es folgte eine ähnlich enttäuschende Spielzeit, die am Ende nur Felix Magath in einem dramatischen Relegationsspiel in Hamburg noch retten konnte. Auch wenn der menschliche Wesenszug der Hoffnung auch Hertha-Fans nicht fremd ist, so rechneten wohl nur die unerschütterlichsten Optimisten mit einer ruhigen Saison 22/23.

Sandro Schwarz sollte nicht nur Stabilität, sondern auch spielerische Weiterentwicklung bringen. Zwölf Monate später gilt es zu bilanzieren: Letztlich war der Anspruch zu hoch und die Mannschaft zu schwach. Nach niederschmetternden Niederlagen wie einem 0:5 vor eigener Kulisse gegen Wolfsburg oder den inzwischen gewohnten zwei Pleiten im Stadtderby gegen Union war früh klar, dass es auch in diesem Jahr eng werden würde. 

In Köln kassierte die Alte Dame die vorentscheidende 2:5-Niederlage.
In Köln kassierte die Alte Dame die vorentscheidende 2:5-Niederlage.AFP

Den Ausschlag gaben am Ende wohl zwei verhängnisvolle Auswärtsspiele: Nach dem 2:5 bei Abstiegskonkurrent Schalke 04 musste der bei den Fans nicht unbeliebte Sandro Schwarz die Segel streichen, wenige Wochen später fuhr der erneut zurückgekehrte Pal Dardai dasselbe Ergebnis in Köln ein und musste damit die realistischen Hoffnungen auf den Ligaverbleib aufgeben. Dass der rechnerische Abstieg durch ein Gegentor in der Nachspielzeit gegen den VfL Bochum besiegelt wurde, entlockte erfahrenen Herthanern nur noch ein müdes Schulterzucken. Zu viel war passiert in den letzten Monaten und Jahren.

Herthas Kaltstart in die 2. Bundesliga

Der wenige Wochen zuvor neu installierte Sportdirektor Benjamin Weber musste von heute auf morgen nicht nur die Mannschaft für die zweite Liga planen, sondern zunächst die reichlich vorhandenen Lasten der hochtrabenden Vergangenheit abwerfen. Bevor überhaupt das Budget für die kommende Saison realistisch festgelegt werden konnte, war eine massive Entlastung des Gehaltsvolumens nötig: Zwischen 30 und 40 Millionen Euro sollten für das Unterhaus eingespart werden, die Streichliste der Spieler war dementsprechend lang.

Spieler wie Krszystof Piatek, Santiago Ascacibar, Omar Alderete oder Alexander Schwolow konnten zwar abgegeben werden, die Ablösen bewegten sich aber meist auf erschütternd niedrigem Niveau. Ein kleiner Realitätsschock für diejenigen Fans der alten Dame, die Spieler ohne bedeutenden Leistungsnachweis über Jahre deutlich höher eingeschätzt hatten.

Aufgrund seiner ausgiebigen Vergangenheit im Verein genießt Sportdirektor Weber großen Rückhalt unter den Fans, doch ablösefreie Abgänge von Schwolow und Piatek und vor allem der Wechsel von Mittelfeldstratege Lucas Tousart zum Stadtrivalen aus Köpenick waren herbe Schläge. Zudem wurden mit Maximilian Mittelstädt und Jessic Ngankam zwei gebürtige Berliner abgegeben, die möglicherweise auch zum Wiederaufbau in Liga zwei hätten beitragen können.

Ohnehin lobt man bei Hertha BSC seit dem Frühjahr den "Berliner Weg" aus, der sich durch viele Spieler aus der renommierten eigenen Akademie bei den Profis wiederspiegeln soll. Auch ohne Ngankam und Mittelstädt findet man im Kader der Alten Dame reichlich Spieler aus der eigenen Jugend, die teilweise auch bereits als feste Größen in der A-Mannschaft eingeplant werden: Pascal Klemens, Marton Dardai oder Marten Winkler werden vermutlich bereits beim Auftaktspiel in Düsseldorf von Beginn an auf dem Feld stehen.

Der Fall Gersbeck: Demontage eines Hoffnungsträgers

Einer, der bis vor wenigen Tagen ebenfalls zu dieser Reihe zählte, war Marius Gersbeck. Von 2004 bis 2019 spielte Gersbeck bei Hertha BSC, stand als Kind und Jugendlicher gar mit den treuesten Fans in der Ostkurve. Selbst sein Wechsel weg vom Olympiastadion hatte Symbolcharakter, schloss er sich doch trotz anderer Angebote dem befreundeten Karlsruher SC an, zu dem die Hertha-Fans seit vielen Jahren enge Beziehungen pflegen.

Marius Gersbeck galt vor seiner Suspendierung als Hoffnungsträger.
Marius Gersbeck galt vor seiner Suspendierung als Hoffnungsträger.Profimedia

In diesem Sommer war es dann so weit: Nach dem Abstieg zog Hertha eine extra für den Hauptstadtklub existente Ausstiegsklausel im KSC-Vertrag des Torhüters und holte den "verlorenen Sohn" nach Berlin zurück. Doch nur wenige Wochen später der Schock: Im Trainingslager in Österreich brach Gersbeck nachts aus dem Teamhotel aus und wurde wenige Stunden später wegen eines tätlichen Angriffs auf einen 22-Jährigen festgenommen. Auch wenn nur wenige Interna nach außen drangen, reagierte sein Verein schnell mit einer Suspendierung und schickte den 28-Jährigen wieder nach Hause.

Es darf bezweifelt werden, ob Gersbeck nach dem Vorfall eine Zukunft bei Hertha BSC hat. Dabei wären seine Qualitäten dringend nötig gewesen: Erstliga-Stammkeeper Oliver Christensen sollte eigentlich abgegeben und zumindest zu etwas frischem Geld gemacht werden, nun wird der Däne vermutlich bleiben müssen. Nach der Vertragsauflösung vom glücklosen Alexander Schwolow scheint Talent Tjark Ernst nach seinem Bundesliga-Debüt in Wolfsburg im Mai auch in der zweiten Liga die Nummer zwei zu sein.

So startete Hertha BSC in das letzte Testspiel gegen Standard Lüttich.
So startete Hertha BSC in das letzte Testspiel gegen Standard Lüttich.Flashscore

In der Verteidigung ist bislang überraschend wenig passiert: Lediglich die linke Seite ist nach den Abgängen von Marvin Plattenhardt und Maximilian Mittelstädt mit Jeremy Dudziak und Anderson Lucoqui neu besetzt worden, ansonsten steht am ersten Spieltag in Düsseldorf die Erstliga-Elf der Berliner inklusive Spielern wie Marc-Oliver Kempf zur Verfügung. Zudem kam Toni Leistner als Stabilisator für die Innenverteidigung, in den ersten Spielen wird der ehemalige Unioner die kritischen Fans von seiner Hertha-Eignung überzeugen müssen.

Wer besetzt das Berliner Mittelfeldzentrum?

Das große Loch im Kader besteht noch im Mittelfeld. Tousart, Cigerci, Boetius, Boateng, Ascacibar – alles Namen der Vergangenheit bei Hertha BSC. In der Realität ist mit Suat Serdar lediglich ein erfahrener Zentrumsspieler im Aufgebot, dazu mit Mesut Kesik und Veit Stange zwei aufgerückte Jugendspieler. Ob gelernte Innenverteidiger wie Marton Dardai und Pascal Klemens sich ad hoc als Stammkräfte im defensiven Mittelfeld etablieren können, ist wie vieles bei der Hertha fraglich.

Mit dem ehemaligen Leipziger Diego Demme kursiert schon seit Ende der vergangenen Bundesliga-Saison ein großer Name als potenzieller Neuzugang, doch die Verhandlungen mit dem Mann vom italienischen Meister SSC Neapel stocken. Sollte der 31-Jährige nicht kommen, muss Weber handeln, um im Herzstück der Mannschaft nicht die unerfahrenen Spieler zu überfordern.

Auf den Außenbahnen gestaltet sich die Lage etwas entspannter: Mit Holstein Kiels Fabian Reese konnte man frühzeitig einen Top-Zweitligaspieler eintüten, er wird auf der linken Bahn gesetzt sein. Während auf der rechten Seite Eigengewächs Marten Winkler die Nase vorn zu haben scheint, machen Talente wie Gustav Christensen und der zurückgeholte Palko Dardai dahinter Druck. Marco Richter ist ein wichtiger Eckpfeiler der Mannschaft, ob seine Rolle eher auf dem Flügel oder im Zentrum sein wird, ist aber noch offen.

Auch im Sturm stehen Trainer Dardai etliche Optionen zur Verfügung: Neben dem wohl zunächst gesetzten Florian Niederlechner ist auch Neuzugang Smail Prevljak mit Ambitionen auf Spielzeit ausgestattet, dazu steht mit Wilfried Kanga ein weiterer Mittelstürmer von Format im Kader. Welche Rolle Talente wie Derry Scherhant oder der noch verletzte Ibrahim Maza spielen können, wir der weitere Saisonverlauf zeigen.

Pal Dardai steht zum ersten Mal in der zweiten Liga für Hertha an der Linie.
Pal Dardai steht zum ersten Mal in der zweiten Liga für Hertha an der Linie.Profimedia

Ohnehin ist der Start auch für den Coach eine kleine Wundertüte. Die Vereinslegende der Berliner hat 209 Spiele als Trainer betreut, allerdings noch keines in der 2. Bundesliga. Zur Unterstützung hat der Ungar sich die volle Portion Familie ins Boot geholt. Neben Innenverteidiger Marton stehen mit Nachwuchsspieler Bence und dem kürzlich aus Budapest zurückgeholten Palko gleich drei Dardai-Söhne im Kader der Berliner. Ob man im Verlauf der Saison über "blindes Verständnis" oder über "Vetternwirtschaft" sprechen wird, entscheiden zuvorderst die Ergebnisse.

Fazit: Hoffen oder Bangen – Alles möglich für Hertha BSC

Kaum ein Verein der 2. Bundesliga ist vor Beginn der Saison wohl so schwer einzuschätzen wie die Berliner Hertha: Ein neu zusammengestellter Kader, dessen genaue Zusammensetzung nach wie vor unklar ist, ein "Berliner Weg" mit Risiko zur Selbstüberschätzung, aber gleichzeitig so viele Spieler mit Bundesliga-Erfahrung wie bei kaum einem anderen Team. 

Dass Hertha BSC von Beginn an zu den dominanten Mannschaften im Unterhaus zählt, ist bei all den offenen Fragen unwahrscheinlich, doch im Laufe der Saison können sie sich zu einem Aufstiegsfavoriten entwickeln. Im negativen Fall kann die zweite Liga aber auch gut besetzte Mannschaften schnell in unerwartete Schwierigkeiten bringen, oder wer hätte vor der letzten Saison mit einem Abstieg von Arminia Bielefeld gerechnet?

Erste Antworten gibt es am Samstagabend, wenn das Team aus der Hauptstadt bei Fortuna Düsseldorf gastiert.

Zum Match-Center: Fortuna Düsseldorf vs. Hertha BSC (live am Samstag ab 20:30 Uhr in der Flashscore-Audioreportage)

Alle Transfers in der Übersicht

Neuzugänge:

Marius Gersbeck (Karlsruhe, 300.000 Euro), Palko Dardai (Fehervar, unbekannt), Fabian Reese (Kiel, ablösefrei), Smail Prevljak (KAS Eupen, ablösefrei), Jeremy Dudziak (Fürth, ablösefrei), Anderson Lucoqui (Mainz, ablösefrei), Toni Leistner (St. Truiden, ablösefrei), Gustav Christensen (Midtjylland, ablösefrei)

Linus Gechter (Braunschweig, Leih-Rückkehr), Myziane Maolida (Reims, Leih-Rückkehr), Deyovaisio Zeefuik (Hellas Verona, Leih-Rückkehr), Luca Wollschläger (Essen, Leih-Rückkehr)

Marten Winkler, Mesut Kesik, Robert Kwasigroch, Tim Goller, Ensar Aksakal (alle Hertha II), Pascal Klemens (Hertha U19)

Abgänge:

Jessic Ngankam (Eintracht Frankurt, 4 Millionen Euro), Omar Alderete (Getafe, 4 Millionen Euro), Lucas Tousart (Union Berlin, 3 Millionen Euro), Santiago Ascacibar (Estudiantes, 2,5 Millionen Euro), Maximilian Mittelstädt (Stuttgart, 500.000 Euro), Tolga Cigerci (Ankaragücü, 350.000 Euro), Krzysztof Piatek (Basaksehir, ablösefrei), Alexander Schwolow (Union Berlin, ablösefrei), Stevan Jovetic, Jean-Paul Boetius, Marvin Plattenhardt,, Rune Jarstein, Kevin-Prince Boateng (alle unbekannt)

Chidera Ejuke (ZSKA Moskau, Leih-Rückkehr), Ivan Sunjic (Birmingham City, Leih-Rückkehr)