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"Ins Gehirn geschissen": Sexismus im Profifußball und seine Aufarbeitung

Fabienne Michel ist das Opfer übler Beleidigungen geworden.
Fabienne Michel ist das Opfer übler Beleidigungen geworden.CHRISTOF KOEPSEL/Getty Images via AFP
Es war ein harmloser Zusammenprall, der die hässlichste Seite des Fußballs einmal mehr zum Vorschein brachte. Die Schiedsrichterin Fabienne Michel pfiff das Drittliga-Spiel zwischen Rot-Weiss Essen und dem SC Verl, als sie mit RWE-Spieler Klaus Gjasula unglücklich kollidierte und dieser dadurch das 0:1 nicht mehr verhindern konnte. Die Situation eskalierte, laute Proteste der Essener Fans verwandelten sich schnell in üble Schmähgesänge.

Lautstark beschimpften RWE-Anhänger Michel als "Hure". Aufnahmen eines WDR-Reporterteams, das am 28. März bei der Partie in Essen vor Ort war, belegen noch obszönere Gesänge aus dem Block, die fast eine Minute lang dauern. Ein sexistischer Tabubruch, schien es doch zuletzt Fortschritte in Sachen Akzeptanz von Schiedsrichterinnen und Trainerinnen im Männerfußball gegeben zu haben.

"Da frage ich mich echt, wer den Leuten ins Gehirn geschissen hat", wetterte etwa Nationalspielerin Lena Oberdorf. Auch das Netzwerk gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt zeigte sich betroffen, betonte aber auf SID-Anfrage, dass die Sensibilität gegenüber Diskriminierung in den letzten Jahren immerhin gestiegen sei: "Der Vorfall in Essen würde zum Rückschritt werden, wenn man sich dem Vorfall nicht annimmt und ihn aufarbeitet."

Doch wie sieht die Aufarbeitung in einem solchen Fall aus? Der Aufschrei, den es bei anderen Vorfällen immer wieder gibt, glich hier eher einem Flüstern. Der Stadionsprecher hatte in der Situation nicht eingegriffen. Und weder der anwesende Schiedsrichterbeobachter noch Michel selbst dokumentierten den Vorfall im Spielbericht der Partie. Ob die Unparteiische die Beleidigungen während des Spielgeschehens mitbekam, ist noch unbekannt. Erst die Sportschau machte den Deutschen Fußball-Bund (DFB) überhaupt auf den Skandal aufmerksam.

Der Verband wurde aktiv, der Kontrollausschuss habe "auf Grundlage der vorliegenden Video- und Tonaufnahmen vergangene Woche Ermittlungen aufgenommen", hieß es auf SID-Anfrage. Wegen des laufenden Verfahrens werde sich der DFB aber "zum konkreten Fall aktuell nicht weiter äußern". Rot-Weiss Essen sei "zu einer schriftlichen Stellungnahme aufgefordert worden".

Oberdorf: "Im 21. Jahrhundert" anders lösen

Diese war öffentlich erst am Dienstag gefolgt, Vorstandschef Alexander Rang entschuldigte sich im Namen des Vereins, sagte jedoch auch: "Wir sind ein leidenschaftlicher und hochemotionaler Verein, der stolz auf seine Historie und grundsätzlich auch auf seine Fankultur ist – von der getätigten Wortwahl distanzieren wir uns jedoch in aller Deutlichkeit." Von Sexismus ist in dem Statement keine Rede.

Oberdorf brachte ihre Emotionen hingegen deutlich auf den Punkt und schwang sich lautstark zur Fürsprecherin der Betroffenen auf. Sie verstehe "Emotionen und Wut, aber muss man das denn wirklich so rauslassen?", fragte die Nationalspielerin in ihrem Podcast "Popcorn und Panenka": "Oder ist man im 21. Jahrhundert vielleicht schon so weit, dass man es schafft, seiner Wut anders Raum zu machen?"

Bei Beleidigungen gegen männliche Schiedsrichter, meinte Oberdorf, würden "andere Worte" fallen: "Ich finde keine Beleidigung gut, aber du könntest ja auch genau die gleichen Beleidigungen gegenüber Schiedsrichterinnen benutzen."