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Skandinavische Stürmer im Trend: Darum setzt RB Leipzig auf Conrad Harder

Conrad Harder im Trikot von RB Leipzig
Conrad Harder im Trikot von RB LeipzigRONNY HARTMANN / AFP

Der portugiesische Trainer Bruno Romão gilt als Experte für den skandinavischen Fußball. Im exklusiven Flashscore-Interview erklärt er, warum nordische Mittelstürmer auf dem Transfermarkt heiß begehrt sind, weshalb RB Leipzig für Conrad Harder tief in die Tasche gegriffen hat – und wieso dänische Trainer in Europas Topligen immer gefragter werden.

Bruno Romão hat weltweit Erfahrungen als Fußball-Trainer gesammelt und gilt als absoluter Experte für den skandinavischen Raum.

Der 41-jährige Portugiese hat unter anderem bereits in Saudi-Arabien, Ägypten, Südkorea und Finnland gearbeitet. Zudem war er jahrelang als Coach in der Jugendabteilung von Sporting Lissabon aktiv.

Skandinavien-Experte Bruno Romão
Skandinavien-Experte Bruno Romãobrunoromao.com

In einem exklusiven Interview hat er mit Flashscore über skandinavische Mittelstürmer gesprochen – und dabei auch erklärt, wieso RB Leipzig für die Dienste des dänischen Angreifers Conrad Harder eine gigantische Ablöse an Sporting überwiesen hat.

Zudem spricht Romão über den zunehmenden Erfolg von Trainern aus Dänemark – wie Thomas Frank, Kasper Hjulmand und Bo Henriksen.   

Skandinavische Stürmer – populär wie nie zuvor

Flashscore: 

Bruno, es ist extrem interessant, wie populär zurzeit Mittelstürmer aus dem skandinavischen Raum sind. Der erste Name, der einem hier einfällt, ist natürlich Erling Haaland

Aber auch für Alexander Isak, Viktor Gyökeres oder Rasmus Höjlund wurden in den letzten Jahren unglaubliche Transfererlöse erzielt. Wie erklärst du dir diese Entwicklung?

Bruno Romão: 

Das hat viel mit dem Fußball zu tun, der in den dortigen Ligen gespielt wird. Studien der vergangenen drei Jahre zeigen, dass in Dänemark und Schweden über 50 Prozent – und in Norwegen sogar über 80 Prozent – der Angriffe dadurch entstehen, dass extremer Druck auf den Gegner ausgeübt wird. Es werden sehr viele Pässe ins letzte Drittel gespielt.

Das heißt, die Stürmer in diesen Ligen bekommen unzählige Ballaktionen, weil im Strafraum sehr viel Action passiert. Das gilt insbesondere für die Angreifer bei den großen Vereinen. Sie werden oft in Offensivaktionen eingebunden und lernen, die richtigen Läufe zu machen.

Für Isak hat Liverpool eine Ablöse von rund 150 Mio. Euro bezahlt
Für Isak hat Liverpool eine Ablöse von rund 150 Mio. Euro bezahltSTU FORSTER / GETTY IMAGES EUROPE / Getty Images via AFP

Es gibt aber auch einen sozialen Aspekt. In Skandinavien lernt man von klein auf, sich in Gruppen einzufügen und hart für das Kollektiv zu arbeiten. Aus meiner Sicht ist das ein riesiger Faktor. Zudem gibt es gute Trainingsbedingungen. Nicht so gut wie in Deutschland, Spanien, England oder Portugal – aber es läuft alles sehr stabil ab. Die Jugendspieler werden schon früh auf den Sprung ins Profitum vorbereitet.

Flashscore: 

Viele der skandinavischen Mittelstürmer sind klassische Zielspieler. Oft sind es Spieler, die physisch sehr stark, aber auch enorm schnell sind. Würdest du zustimmen?   

Bruno Romão: 

Ja, das stimme ich zu. Das hat viel damit zu tun, wie der Fußball in diesen Ligen verstanden wird, welche Profile gesucht werden. Wenn junge Talente großgewachsen sind, werden sie oft als Stürmer eingesetzt. Das ist ein weiterer Aspekt.

Romão bei der Arbeit
Romão bei der Arbeitbrunoromao.com

Harders Torhunger: "Er will ständig zum Abschluss kommen"

Es ist ein wenig überraschend, dass RB Leipzig für Conrad Harder Medienberichten zufolge 24 Millionen Euro Ablöse bezahlt hat. Immerhin hat er für Sporting in 52 Pflichtspielen nur zwölf Tore erzielt. Glaubst du, hat Leipzig hier richtig investiert?

Ich glaube, Leipzig und Sporting haben diesen Transfer getätigt, weil sie das Potenzial von Conrad Harder sehen. Er vereint viele Eigenschaften, die wir bereits erwähnt haben: Athletik, ein klares Profil, Geschwindigkeit, Beweglichkeit. Seine Fähigkeit, den Strafraum mit und ohne Ball zu attackieren, ist sehr ausgeprägt. 

In Deutschland werden viele Konter-Attacken gespielt. Da kann er seine Qualitäten gut einbringen. Er hat außerdem etwas, was unfassbar wichtig ist: Torhunger. Er will ständig zum Abschluss kommen, den Spielzug zu Ende bringen.

In Leipzig wartet Harder noch auf seinen ersten Startelf-Einsatz
In Leipzig wartet Harder noch auf seinen ersten Startelf-EinsatzMAJA HITIJ / GETTY IMAGES EUROPE / Getty Images via AFP

Was er noch entwickeln muss, meiner Meinung nach: Mit dem Rücken zum Tor spielen – und der letzte Kontakt. Manchmal sucht er in komplizierten Situationen den Abschluss. Das kann frustrierend sein und sein Selbstvertrauen beeinflussen. In Portugal hatte er auch Pech, weil sein größter Konkurrent um einen Stammplatz – Viktor Gyökeres – in Höchstform war.

Leipzig hat Harder in einer Pressemitteilung als Stürmer beschrieben, der sich gerne am Pressing beteiligt. Denkst du, ist Harder ein guter Teamplayer?

Absolut! Im modernen Fußball – vor allem in Deutschland – gibt es viele Mannschaften, die aktiv ins Pressing gehen. Viele Teams spielen auch sehr dynamische Konter, die sich das Chaos in der gegnerischen Defensive zunutze machen wollen.

Für diesen Fußball braucht es ganz bestimmte Spieler. Und Conrad hat die perfekten Eigenschaften, um sich da einzufügen.

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"So funktioniert der Fußball heutzutage"

Harders Wechsel von Portugal nach Deutschland fand sprichwörtlich in allerletzter Minute statt. Hast du das Gefühl, die Bundesliga ist für ihn persönlich der richtige nächste Schritt? Oder glaubst du, es wäre vielleicht klüger gewesen, wenn er noch ein paar Monate in Lissabon geblieben wäre?

Bestimmt wäre auch ein Wechsel nach der laufenden Saison profitabel gewesen – für die Klubs und den Spieler. Andererseits: Wenn Harder mehr Einsatzzeit sammeln möchte, ist er in Leipzig besser aufgehoben.

Er hat dort starke Konkurrenz, zum Beispiel Romulo. Aber das ist grundsätzlich ein anderer Stürmer-Typus. Sowohl die Bundesliga – aber zum Beispiel auch die französische Ligue 1 – stellen für ihn einen guten Zwischenschritt dar.

Der Konkurrenzkampf bei RB Leipzig ist sehr hart. Du hast bereits Romulo erwähnt. Fortlaufend sucht der Verein nach neuen Spitzen-Talenten, die später für gutes Geld verkauft werden. Hast du Angst, Harder könnte in diesem großen Kader verloren gehen?

So funktioniert der Markt heutzutage, so funktioniert der Fußball heutzutage. Insbesondere bei Konstrukten mit mehreren Klubs, wie in diesem Fall mit Red Bull. 

Er ist ein Stürmer, der sich mitten in seiner Entwicklung befindet. Er muss sich auf seinen Prozess fokussieren und muss sich jetzt darauf konzentrieren, sich an die Ideen von Trainer Ole Werner anzupassen. Ich denke, er passt gut ins Team.

Er muss Minuten sammeln und sich in den Dienst der Mannschaft stellen. Andere Faktoren wie Leipzigs Transfer-Philosophie: Das ist einfach Teil des Fußballs. Das kann man nicht beeinflussen.

Trainer aus Dänemark "sehr modern"

Wir haben jetzt eine gute Idee bekommen, was Conrad Harder auszeichnet. Ich möchte die Gelegenheit nutzen und eine weitere Frage an dich richten –  als Experte für den skandinavischen Fußball, aber auch als Trainer.

In den letzten Jahren haben es viele dänische Coaches geschafft, bei Spitzenvereinen unterzukommen. Man denke nur an Thomas Frank, der in diesem Sommer zu Tottenham gewechselt ist. Oder an Kasper Hjulmand, der das Amt bei Bayer Leverkusen übernommen hat. Bo Henriksen hat es außerdem mit Mainz sensationell bis in die Conference League geschafft. Hast du eine Erklärung für diese Entwicklung?  

Das hängt oft mit ihren Erfolgen im Heimatland zusammen. Sie bekommen dort die Möglichkeit, sich in Ruhe zu entwickeln – und sie haben großen Einfluss auf die taktischen Ideen. Bei Thomas Frank war es ein bisschen anders. Er hat zuerst Bröndy trainiert und kam dann zunächst als Assistent zu Brentford. 

Frank wechselte im Sommer von Brentford zu den Spurs
Frank wechselte im Sommer von Brentford zu den SpursIAN KINGTON / AFP

Die hervorstechende Charaktereigenschaft bei diesen Trainern: Sie haben eine positive Ausstrahlung, arbeiten sehr inklusiv. Das gilt alles als sehr modern und setzte ich auch in meinem eigenen Coaching um.

Das sorgt für ein Umfeld, in dem es zwar einen Konkurrenzkampf gibt – aber auf positive Weise. Das spiegelt sich auch in der Spielweise ihrer Mannschaften wider.

Es ist nicht immer der ästhetisch anspruchsvollste Fußball – es ist ein Fußball, der großen Fokus auf Zweikämpfe, Tiefenläufe und vertikale Pässe legt. In Kombination mit dem Führungsstil sorgt das aber für einen ganz bestimmten taktischen Stil. 

Ich denke, das ist einer der Hauptgründe, wieso sie aktuell viele Chancen auf dem Trainermarkt erhalten.

Danke für das Gespräch und diese wertvollen Informationen!