Manuela Zinsberger zählt zu den bekanntesten Gesichtern im österreichischen Frauenfußball. Nach dem Champions-League-Triumph mit dem FC Arsenal und turbulenten Monaten im Nationalteam kam die Sommerpause zur rechten Zeit – Zeit für Familie, Reflexion und ein ausführliches Gespräch über sportliche Herausforderungen, persönliche Entwicklungen und neue Ziele. Warum sie auch als Nummer 2 viel bewirken kann, wie sie mit der medialen Berichterstattung umgeht und was sie sich vom ÖFB-Team erhofft, erzählt sie im Exklusiv-Interview mit Flashscore.
Beginnen wir im Hier und Jetzt: Wie geht es dir? Wo erreiche ich dich gerade?
Mir geht es super, ich bin gerade bei meiner Familie in Österreich. Meine Schwester, mein Schwager und mein Neffe sind da. Wir genießen die Zeit zusammen, heute wird gegrillt und der Geburtstag von meinem Sohn noch gefeiert. Also ja, mir geht es ziemlich gut.
Wann geht es zurück nach London, um die Vorbereitung auf die neue Saison in Angriff zu nehmen?
Wir starten am 17. Juli in London mit der Vorbereitung. Das heißt am 16. Juli fliegen meine Frau, mein Sohn und ich dann wieder zurück nach London.
Wie gut konntest du mittlerweile den Champions-League-Titel realisieren?
Es dauert schon eine Zeit, bis man wirklich realisieren kann, dass man Champions-League-Siegerin ist. Schon kurz darauf ging es zur Nationalmannschaft. Da musste der Fokus gleich wieder in die richtige Richtung gestellt werden. Daher habe ich zunächst gar nicht viel Zeit gehabt, das irgendwie zu realisieren. Erst danach hatte ich langsam Zeit, das Ganze Revue passieren zu lassen, was da passiert ist und was das für einen selbst bedeutet. Wenn ich mir heute die Medaille anschaue oder mit Fotos in Erinnerungen schwelge, ist das schon krass, dass man sich Champions-League-Siegerin nennen darf.
Wie ging es dir dabei in deiner Rolle als Ersatzspielerin? Nach mehreren Jahren als unumstrittene Nummer 1 wohl keine leichte Situation.
Es ist natürlich nicht einfach, mit so einer Rollenveränderung klarzukommen. Ich glaube, es wäre gelogen, wenn jemand sagt „Nummer 2 zu sein, finde ich super, damit komme ich schnell klar.“ Natürlich musste ich mich erst damit zurechtfinden. Ich war fünfeinhalb Jahre lang die Nummer 1 bei Arsenal. Dass sich das auch mal ändern kann, war naheliegend in dieser schnelllebigen Umgebung und es gibt nun mal auch andere gute Torhüterinnen. Ich finde, ich hatte jetzt keinen Leistungsabfall und es war natürlich nicht leicht, damit klarzukommen, das brauche ich jetzt auch nicht schönreden.
Dennoch steht für mich das Team an erster Stelle, alles andere machen wir uns ohnehin mit der Trainerin aus. Natürlich ist es jetzt nicht schön, Nummer 2 zu sein, aber ich werde weiter Gas geben, ich werde dem Ganzen Paroli bieten und noch einmal eine Schippe drauflegen. Ich werde auch die Zeit in London gleich wieder nutzen und noch härter arbeiten, noch mehr zeigen, was ich eigentlich draufhabe. Und dann weiß man ja nie, im Fußball kann es schnell gehen.
Hat die Backup-Rolle für dich auch positive Effekte gehabt? Ich denke hier beispielsweise an David Alaba, der bei der EURO 2024 als Non-Playing-Captain für das Teamgefüge sehr wichtig war. Ist die Präsenz in der Kabine ein Thema, dem du dich in der Saison 2024/25 noch intensiver widmen konntest?
Ja, das auf jeden Fall. Aber das mache ich auch unabhängig davon, ob ich spiele oder nicht. Ich bin ein Leader, eine Führungspersönlichkeit, die vorangeht, die im Mannschaftsrat ist und die Dinge bewegen und bewirken möchte. Natürlich habe ich versucht, mit meiner Art und Weise mit kurzen Inputs, ob es jetzt mit einer WhatsApp-Nachricht war, ob es jetzt ein Schulterklopfer war oder ob es ein guter Schmäh war, der die Spielerinnen auf andere Gedanken bringt.
Egal wie, ich habe einfach versucht, meinen Mehrwert nochmal mehr einzubringen. In dieser Reservistenrolle merkt man es noch einmal deutlicher, was es wirklich heißt, das Team an erste Stelle zu stellen. Natürlich habe ich das als Nummer Eins genauso gelebt und ich habe mich als Typ nicht verändert. Dennoch war der Umgang mit dieser Situation mein größtes, positives Learning aus der ganzen Sache.
Unabhängig vom Finale: Was bedeutet diese aktuelle Rolle für deine Zukunft? Kann dadurch ein Wechsel ein Thema werden?
Mein aktueller Stand ist, dass ich einen Vertrag bei Arsenal habe und da gebe ich auch weiterhin Gas. Wenn sich Dinge verändern, wird man meinem Berater Bescheid geben und wir tauschen uns dann darüber aus. Ansonsten bleibt es dabei, dass ich bei Arsenal einen Vertrag habe und diesen auch erfüllen werde. Was dann danach passiert, wird man sehen.
Was erwartest du von der kommenden Saison mit Arsenal? Wo müsst ihr den Hebel ansetzen, um die Lücke zu Chelsea zu schließen?
Ich finde, hier gibt es gar nicht so viel aufzuholen. Wir wurden in der Vorsaison Zweiter, so weit entfernt waren wir da jetzt auch nicht. Aber natürlich wissen wir, dass wir konstante Leistungen brauchen und dieses hohe Niveau halten müssen. Du darfst dir kein Spiel erlauben, wo du auch mal weniger gibst oder auch nur ein Prozent nachlässt. Das hat man in der Saison gemerkt, dass wir da als Mannschaft, als Gesamtes wirklich bis zur letzten Minute, bis zum letzten Spiel unseren Plan verfolgen, hart arbeiten und voll fokussiert sein müssen.
Die Liga ist mittlerweile zu stark, um gegen Teams, die weiter unten stehen, nachzulassen. Die nutzen das knallhart aus, wie es bei uns etwa gegen Aston Villa oder auch gegen Brighton der Fall war. Wir hatten einen Höhenflug, durch einen leichten Abfall haben wir uns aber die Chance genommen, die Liga gewinnen zu können. Das lag an verschiedenen Faktoren, die die Trainerin nochmal aufgreifen wird in der Vorbereitung. Wir haben einen unglaublich tollen Kader. Wir müssen in den wirklich harten Phasen das Feuer erst recht nochmal mehr entzünden können.
Apropos Chelsea: Wird eine gewisse Rivalität auch bei den Frauen gelebt?
Ja natürlich, Arsenal – Chelsea ist die Rivalität schlechthin. Das merkt man bei den Fans und auch am Spielfeld geht es heiß her. Obwohl wir natürlich auch noch mit Tottenham ein Derby haben, aber Chelsea gegen Arsenal, das ist schon das Spiel der Spiele.
Die Women’s Super League hat in den letzten Jahren eine starke Entwicklung hingelegt, wie hast du diese Entwicklung miterlebt?
Die Entwicklung war natürlich unglaublich. Wir waren ja zuerst in Borehamwood, im Meadowpark. Da passten rund 4.000 Leute rein. Und jetzt stehen wir da und spielen fast alle Spiele im Emirates Stadium – bis auf ein paar Spiele im Dezember, wo es sich terminlich mit den Männern nicht ausgeht. Letztes Jahr hatten wir einen Zuschauerschnitt von 30.000. Da waren ein paar Spiele mit bis zu 54.000 Fans dabei. Oder gegen Lyon waren unter der Woche 22.000 da, das ist schon einiges. Man muss da aber auch hinter die Kulissen schauen, was da ein kleines, unglaublich engagiertes Team leistet. Dieses Team versucht, die Breite der Masse anzupacken, es überlegt, wie man noch mehr Tickets verkaufen und wie man eine noch bessere Fan Experience kreieren kann.
Da steckt unglaublich viel Arbeit dahinter im ganzen Verein. Auch die Spielerinnen, die nahbar sind und versuchen, den Fans eine unglaubliche Experience zu bringen. Und es geht auch darum, dass wir eigene Sponsoren haben, um noch mehr investieren zu können. Ich selbst bin jetzt seit sechs Jahren da, andere sind noch deutlich länger da. Es war definitiv schon ein langer Weg, aber jetzt ist der Erfolg da, auch wenn für mich natürlich noch der Liga-Titel fehlt. Wir haben jetzt die Champions League gewonnen, was uns noch einen Boost geben wird. Wir dürfen aber auch nicht vergessen, was wir in den letzten Jahren in der Liga alles liegen gelassen haben.
In einem vereinsinternen Interview hast du vor kurzem die Arsenal Community als wichtige Stütze für dich erwähnt. Was macht diese Community für dich aus und was könnten sich andere Vereine hier noch abschauen?
Wir haben manchmal mehr Auswärtsfans mit als die heimische Mannschaften Heimfans – muss ich da mehr noch mehr sagen? Das ist immer wieder unglaublich, oder auch, dass über 5.000 Fans nach Lissabon mitgekommen sind. Die Fans kreieren Songs für jede einzelne Spielerin, wenn eine neue dazukommt. Auch die Nahbarkeit und das gegenseitige Vertrauen machen diese Community aus. Die Fans glauben an uns und pushen uns nach vorne, egal ob wir gewinnen oder verlieren. Darum hat es uns noch mehr gefreut, dass wir die Champions League gemeinsam mit den Fans gewonnen haben. Die haben einen maßgeblichen Anteil daran, dass wir da stehen und den Pokal hochhalten durften.
Durchaus turbulente Zeiten waren es zuletzt beim österreichischen Frauen-Nationalteam. Wo muss angesetzt werden, damit das Team wieder an erfolgreiche Zeiten wie 2017 anschließen kann bzw. damit sich das Team für die nächste WM qualifizieren kann?
Ja, 2017 ist schon eine Zeit her. Jetzt im Jahr 2025 haben wir einen neuen Trainer und viele Veränderungen im Staff. Auch bei den Spielerinnen hatten wir einen Umbruch in den letzten Jahren. Unter anderem mit Viktoria Schnaderbeck, Carina Wenninger, Nadine Prohaska und Nina Burger haben wir viele, die aufgehört haben. Natürlich darf das jetzt keine Ausrede sein, aber Veränderung und die dazugehörige Rollenveränderung bzw. neue Konstellation braucht nun mal Zeit. Alexander Schriebl ist jetzt im dritten Lehrgang da gewesen. Er hat neue Aspekte reingebracht, hat den Staff nochmal geschärft und gesagt, was er sich vom Staff erwartet, was der Staff uns mitgeben muss und was er von uns fordern und bei uns fördern muss. Gewisse Dinge brauchen Zeit. Wir können nicht erwarten, dass wir in drei Monaten alle Spiele gewinnen und auf WM-Titeljagd gehen.
Da müssen wir schon der Realität ins Auge schauen. Wir haben ein Ziel und das ist die WM. Wir wollen da erstmalig hinfahren. Ich glaube, es wäre gelogen, wenn das keiner möchte, aber gleichzeitig müssen wir das, was Alex uns mitgibt, umsetzen. Es verändern sich aber auch viele Rollen im Team. Mit diesen Veränderungen müssen auch alle erst klarkommen. Dabei gibt es noch viele Aspekte die nachgeschärft werden müssen. Da kann man nicht erwarten, dass das in drei Monaten passiert, dennoch dürfen wir uns so eine erste Halbzeit gegen Deutschland nicht erlauben.
Beim Spiel in Nürnberg haben wir Deutschland 60 Minuten lang fast keine Chance gelassen. Wir haben denen so krass Paroli geboten, jedoch nur in den ersten 60 Minuten. Das muss aber 90 Minuten und am besten zwei Spiele in einer Woche so gehen. Daher müssen wir auch an der Athletik arbeiten.
Am Ende haben wir hoffentlich alles, was wir brauchen, um wirklich zu sagen: Das ist ein neues Österreich, da ist ein neuer Spirit, da ist ein neu geformtes Team mit klaren Rollen, bei dem die Kommunikation passt und wo die Vision klar ist. Dann geht es nur mehr darum, die Basics umzusetzen: Hinten kompakt stehen, das Pressing voll umsetzen, beim Passpiel klar zu sein und aus wenigen Chancen viel zu machen.
Rund um das Nationalteam, aber vor allem auch nach dem Champions-League-Titel haben mehrere Spielerinnen Kritik an der zu geringen medialen Berichterstattung geäußert. Vor allem Viktoria Schnaderbeck ließ da als erste aufhorchen. Wie siehst du hier den Status quo und die Entwicklung?
Da muss ich erst mal klarstellen, dass es mir bei dem Thema um die großen Schlagzeilen und die großen TV-Auftritte gegangen ist. Es wurde ja über den Champions-League-Titel berichtet, vor allem auch online. Es geht nicht darum, dass ich sage, es sei gar nicht berichtet worden, aber wo waren die wirklich großen Schlagzeilen, wo waren die großen TV-Auftritte? Und darum ist es Viktoria Schnaderbeck und auch mir gegangen. Mir ging es auch weniger um mich, sondern generell um eine Frau, die die Champions League gewinnt. Wäre es um Sarah Zadrazil oder um Eileen Campbell gegangen, hätte ich das genauso geschrieben. In der Zwischenzeit ist eh wieder viel passiert. Es gab mehr Interviews und Anfragen und auch das „Frühstück bei mir“ mit Claudia Stöckl. Dennoch haben mir nach dem Titel einfach die ganz großen Schlagzeilen gefehlt.
Das Thema „mediale Berichterstattung“ war auch rund um das Länderspiel gegen Deutschland sehr aktuell. Zudem wurde das vom ÖFB angepeilte Ziel, 10.000 Zuschauer:innen ins Stadion zu locken, klar verfehlt. Dass das Duell mit Deutschland schlussendlich in einem 0:6-Debakel endete, hat der allgemeinen Stimmung auch nicht geholfen. Haben euch die Themen rund ums Spiel vielleicht zu viel beschäftigt, situativ den Fokus aufs Spiel gehemmt?
Natürlich ist es schade, wenn man ein Spiel so als Highlight anpreist und es dann so schief geht. Aber da muss sich auch der ÖFB hinterfragen. Wir Fußballerinnen konzentrieren uns vorrangig auf das Fußballerische, was am Platz passiert.
Sportlich wissen wir ja ganz genau, woran es liegt und wo wir besser werden müssen. Die erste Halbzeit gegen Deutschland war einfach eine Halbzeit zum Vergessen. Die Fehler, die wir gemacht haben, habe ich selten gesehen. Wir haben in der zweiten Halbzeit ein besseres Gesicht gezeigt. Natürlich war das auch noch nicht überragend, aber es ist in die richtige Richtung gegangen. Gerade gegen Deutschland darfst du dir einfach nichts erlauben.
Aber wir fokussieren uns immer auf die Sache am Platz. Was drumherum passiert, Zuschauer, wofür wir kämpfen, wofür wir stehen, wofür wir den Frauenfußball fördern und fordern, das passiert außerhalb vom Platz. Wenn wir auf den Platz treten, heißt es wirklich, das Herz am Platz lassen und Vollgas geben.
Zum Abschluss noch die große Frage: Wer gewinnt die EM in der Schweiz?
Am Anfang habe ich immer gleich Spanien gesagt. Mittlerweile bin ich eher einfach auf viele Mannschaften gespannt. Wie es zum Beispiel England macht als amtierende Europameister. Ich bin auch gespannt, wie es Polen zum ersten Mal bei einer EM geht, wenn auch mit gebrochenem Herzen, weil sie uns ja in der Qualifikation rausgeworfen haben.