Kylian Mbappé hinterließ in Paris eine beeindruckende Bilanz: 175 Tore in 205 Spielen, sechs Meisterschaften, unzählige unvergessliche Einzelaktionen. Doch eine Trophäe blieb ihm und PSG stets verwehrt: der Champions-League-Titel. Trotz hunderter Millionen von Investitionen in Superstars wie Neymar und Messi reichte es nie zum ganz großen Coup. Immer wieder scheiterte man knapp, oft tragisch: am Pfosten, an übermächtigen Gegnern oder an sich selbst.
Mbappés Abgang zu Real Madrid im vergangenen Sommer wurde vielerorts als sportliche Zäsur gesehen. Ohne den französischen Nationalhelden, so der Konsens, würde PSG kaum mehr als ein Achtelfinalkandidat sein. Doch die Realität widersprach früh – und radikal.
Das Paradoxon Mbappé
Mbappé ist einer der besten Spieler seiner Generation, ein globaler Superstar. Doch gerade diese Ausnahmestellung wurde für Paris zum Problem. Die Offensive drehte sich zu sehr um den einen Spieler. Das Spielsystem war vorhersehbar: den Ball zu Mbappé bringen, hoffen auf seine Magie. Für Gegner leicht zu analysieren, für Mitspieler eine taktische Einschränkung.
Trainer Luis Enrique erkannte das Potenzial eines Kollektivs ohne Supernova – und formte aus jungen, hungrigen Spielern eine funktionierende Einheit. Mit Désiré Doué (19), Bradley Barcola (22), Khvicha Kvaratskhelia (24) und Ousmane Dembélé (27) stehen nun variable, kreative Kräfte im Fokus, die sich dynamisch ergänzen, statt sich gegenseitig im Weg zu stehen, wie es bei Mbappé und Vinicius Jr. aktuell bei Real der Fall ist.
Die Wiedergeburt eines schlafenden Riesen
Enriques PSG ist nicht nur offensiv flexibler, sondern auch defensiv aktiver. Dembélé übernimmt in der Zentrale nicht nur kreative Verantwortung, sondern auch defensive Aufgaben – ein Bereich, den Mbappé oft vernachlässigte. Das neue PSG presst höher, gewinnt mehr Bälle, schaltet schneller um. Der zentrale Mittelfeldblock um João Neves, Vitinha, Fabián Ruiz und Warren Zaïre-Emery hat sich zu einer der stabilsten Achsen Europas entwickelt.
Nach einem holprigen Herbst in der Gruppenphase blühte PSG im Frühjahr regelrecht auf. Beeindruckende Siege gegen Manchester City, Liverpool und Aston Villa zeigten eine Mannschaft, die nicht mehr nur vom Einzelkönner abhängig ist – sondern gemeinsam angreift, verteidigt und jubelt. Der 10:0-Gesamtsieg gegen Brest im Achtelfinale war ein Statement. Nebenbei dominieren die Pariser auch die Ligue 1 wie im Schlaf.

Mit Mbappé waren die Erwartungen immens, aber die Erfolge blieben aus. Ohne ihn rücken Top-Talente wie Barcola oder Doué in den Vordergrund, Mittelfeldspieler Fabian Ruiz brilliert im entscheidenden Königsklassen-Rückspiel gegen Arsenal. Ohne Mbappé wurde das Team unterschätzt – und spielt nun vielleicht den besten Fußball seiner modernen Geschichte.
Real am Boden – PSG kurz vor der Spitze
Während Mbappé bei Real Madrid mit roten Karten, Systemproblemen und einem nur noch schwer aufzuholenden Rückstand in La Liga zu kämpfen hat, erlebt Paris sportlich eine Saison des Aufbruchs. Und vielleicht, ganz vielleicht, hat Luis Enrique Recht behalten, als er im Februar sagte: „Wir sind offensiv und defensiv besser ohne Mbappé.“
Noch steht die große Krönung im lang ersehnten Finale aus. Doch die Voraussetzungen waren selten besser. PSG könnte die Bürde des "Unvollendeten" ablegen – und das zum ersten Mal ohne, aber vielleicht auch gerade wegen Kylian Mbappé.
Zum Match-Center: Paris Saint-Germain vs. FC Arsenal
