Arne Slot ist noch keine sechs Monate beim FC Liverpool angestellt – und dennoch ist es dem Niederländer bereits gelungen, an der Anfield Road eine neue Ära einzuläuten. Das Erbe von Jürgen Klopp hat der 46-Jährige nicht einfach fortgeführt, er hat es als Grundlage genutzt, um ein revolutionäres taktisches System zu entwickeln.
"Nach dem Ballgewinn, möchte ich nach vorne spielen, so wie Jürgen", sagte Slot nach seiner Einstellung: "Aber manchmal gefällt es mir, wenn die Spieler den Ball halten und nicht den schwierigen Pass spielen."
Keine Klopp-Imitation
Slot legt großen Wert auf eine gesunde Balance zwischen chaotischem Gegenpressing und ruhigen Ballbesitzphasen. Das unterscheidet ihn von seinem Vorgänger. Obwohl Liverpool in der Premier League am zweithäufigsten getroffen hat (37), liegen die Reds in der Schuss-Statistik nur auf Rang fünf (256). Das war in der Vorsaison anders: Unter Klopp feuerte der Klub ligaweit die meisten Torschüsse ab.
Defensive Stabilität und eine stabile Konterabsicherung sind der Lohn für diese geduldige Spielweise. Ist im gegnerischen Abwehrbund keine Lücke zu finden? Dann ist eine Ruhephase erlaubt, ja, sogar erwünscht.
Grundsätzlich setzt Slot auf eine 4-2-3-1 Formation. Klingt unspektakulär. Ist es aber nicht. Denn seine Schützlinge sind ständig dazu aufgefordert, ihre Position aktiv anzupassen. Slots Spieler genießen individuelle Freiheit, müssen sich aber an gewisse Grundprinzipien halten.
Bestes Beispiel: Im eigenen Spielaufbau ist eine numerische Überzahl das große Ziel. Attackiert der Gegner die beiden Innenverteidiger mit drei Spielern? Dann lässt sich Mittelfeldspieler Ryan Gravenberch fallen, um zusammen mit den Innenverteidigern und dem eigenen Torhüter eine 4:3-Überzahl herzustellen.
Der unglaubliche Salah
Diese taktische Anpassung und das Vertrauen in die individuelle Qualität seiner Spieler – Liverpool hat sich im Sommer-Transferfenster durch grenzenlose Passivität ausgezeichnet – machen Slots Team zu einer der gefährlichsten Mannschaften Europas.
In der Premier League ist man souveräner Tabellenführer, auch die Ligaphase der Champions League wird dominiert. Seit unglaublichen 21 Spielen sind die Reds bereits ungeschlagen. Zu verdanken ist das auch Mohamed Salah. Der 32-jährige Ägypter erlebt zurzeit seinen zweiten Frühling und führt die Torschützenliste der Premier League souverän an.
Zuletzt feierte man einen spektakulären 6:3-Erfolg bei den Tottenham Hotspurs. Dass Slots Truppe in der Schlussphase schläfrig wurde und innerhalb weniger Minuten zwei Gegentore kassierte, wertete Slot als Lernerfahrung: "Wir haben verstanden, dass wir in der Premier League nicht eine Minute nachlassen können. Denn dann sehen wir, dass wir nicht so gut sind, wie wir vielleicht glauben."
Auch im Erfolg bleibt Slot kritisch – ein Zeichen dafür, dass das eigentliche Ziel noch nicht erreicht ist. Liverpool strebt nach einem Titelgewinn, der 20. Meisterschaft der Vereinsgeschichte.
Trainerduell mit Van Nistelrooy
Das Heimspiel gegen den Tabellen-17. Leicester City steht für Slot unter einem besonderen Stern. Sein Landsmann Ruud van Nistelrooy hat kürzlich das Traineramt bei den Foxes übernommen. Jener Van Nistelrooy, der Slot 2022/23 die niederländische Meisterschaft wegschnappte.
Eine Kampfansage war dem Liverpool-Coach aber nicht zu entlocken. Er lobte den ehemaligen Weltklasse-Stürmer ausgiebig: "Ruud ist ein sehr netter Mensch. Er hat damals wirklich gute Arbeit geleistet." Auf das Kompliment folgte ein kleiner Seitenhieb: "Für die Teams aus der unteren Tabellenregion ist es immer etwas Besonderes, in Anfield zu spielen."
Leicester befindet sich in einer komplizierten Phase, kassierte kürzlich zwei herbe Niederlagen gegen Newcastle (0:4) und Wolverhampton (0:3). "Wir können so ein Spiel nicht einfach vergessen", warnte Van Nistelrooy seine Mannschaft: "Wir müssen uns das Spiel genau ansehen, jeder muss seine Performance hinterfragen. So werden es auch ich und mein Betreuerstab handhaben."
Sämtliche Gegentore seien die Folge "individueller Fehler" gewesen, "Ich glaube, das hatte vorwiegend eine mentale Ursache." In Liverpool habe Leicester die Möglichkeit "zurückzuschlagen. Wir werden zusammenhalten und das Maximum aus dem Kader herausholen."