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Wie ein "gedrosselter Ferrari": DFB-Weltmeister Lahm kritisiert italienischen Fußball

Philipp Lahm hat sich mit deutlichen Worten zum Niveau des italienischen Fußballs geäußert.
Philipp Lahm hat sich mit deutlichen Worten zum Niveau des italienischen Fußballs geäußert.MICHAEL MATTHEY/dpa Picture-Alliance via AFP
Philipp Lahm, Weltmeister von 2014 und langjähriger Kapitän des FC Bayern München, hat sich mit bemerkenswerter Klarheit zur Lage des italienischen Fußballs geäußert. Im englischen "Guardian" blickt er zurück auf seine eigene Prägung durch die italienische Fußballschule – und gleichzeitig nach vorne auf das, was die einstige Weltmacht im Fußball tun muss, um wieder Anschluss an die Weltspitze zu finden.

„Ich bin auch ein Kind des italienischen Fußballs“, schreibt Lahm und erinnert an das Champions-League-Finale 1994, als der AC Mailand mit einem taktisch perfekten 4:0 gegen den FC Barcelona triumphierte. Diese Partie wurde für ihn zum Inbegriff kollektiver Fußballintelligenz – ein Spiel, das sein Jugendtrainer Björn Andersson unzählige Male zeigte. Italien war damals die Referenzklasse des Weltfußballs, das Mekka für Taktiker, Defensivkünstler und Strategen.

Doch der Respekt, den Lahm dem italienischen Fußball zollt, geht einher mit deutlicher Kritik. Denn das, was Italien einst ausmachte, scheint ihm heute verloren gegangen zu sein. Der letzte Champions-League-Sieg eines italienischen Teams liegt mittlerweile 15 Jahre zurück – zu lange für eine Nation, die vier Weltmeistertitel ihr Eigen nennt. Lahm sieht eine fundamentale sportliche Krise: italienische Teams seien nicht mehr in der Lage, der physischen und taktischen Intensität des modernen Spitzenfußballs standzuhalten. „Italien hat sein Betriebssystem nicht aktualisiert; es funktioniert zu langsam.

Die Ursachen dafür sieht Lahm auf mehreren Ebenen. Einerseits im wirtschaftlichen und infrastrukturellen Rückstand: veraltete Stadien, Investoren aus dem Ausland ohne lokale Identifikation, sinkende nationale Bindung. Andererseits aber auch im Wesentlichen auf dem Platz: zu wenig Laufbereitschaft, mangelnde Athletik, fehlende Initiative. „Die heutigen italienischen Mannschaften erinnern mich an einen Ferrari, der von 200 PS gedrosselt wurde“, schreibt Lahm in einem seiner schärfsten Bilder.

Gleichzeitig erkennt Lahm Italiens nach wie vor vorhandene taktische Klasse an. Die Schulung in Zonenverteidigung, Zweikampfführung und Risikomanagement bleibt stark – doch allein damit, so sein Fazit, lasse sich keine Dominanz mehr herstellen. Der EM-Titel 2021 sei ein Ausreißer gewesen, begünstigt durch das Turnierformat und Italiens Fähigkeit, kurzfristig taktisch zu brillieren.

Atletico Madrid als Vorbild für Italien?

Doch auf Dauer genüge es nicht, sich auf 1:0-Führungen zu verlassen. „Grandezza allein reicht nicht mehr aus.“ Der moderne Fußball verlangt mehr: Tempo, Intensität, Dynamik. All das verkörpert für Lahm ein anderes Vorbild – Atlético Madrid unter Diego Simeone.

Der Kontrast könnte größer kaum sein: Atlético, das einst für destruktiven Defensivfußball verschrien war, wird bei Lahm zur Blaupause für Italiens Zukunft. Warum? Weil Simeones Teams „mit höchster Intensität“ agieren, kompromisslos verteidigen, leidenschaftlich angreifen und dem Gegner nichts schenken. „Ganz Italien sollte so spielen wie Atlético“, lautet Lahms provokantes Fazit.