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Nach Mourinho-Aus: Fenerbahce will fußballerisch dominieren – Warum dann Tedesco?

Domenico Tedesco soll das kriselnde Fenerbahce wieder auf Kurs bringen.
Domenico Tedesco soll das kriselnde Fenerbahce wieder auf Kurs bringen.ČTK / imago sportfotodienst / Tomas Sisk
Fenerbahçe hat einen neuen Cheftrainer: Domenico Tedesco hat einen Zweijahresvertrag bis Sommer 2027 unterschrieben. Der 39-jährige Deutsch-Italiener bringt reichlich internationale Erfahrung mit, von der Bundesliga über Russland bis zur belgischen Nationalmannschaft. Doch die zentrale Frage lautet: Kann er beim Dauerpatienten Fenerbahçe wirklich den Umschwung schaffen?

Die zurückliegende Ära von José Mourinho hatte in Istanbul mit einem Paukenschlag begonnen. Der „Special One“ sollte das internationale Prestige zurückbringen, nach Jahren voller verpasster Meisterschaften und wachsender Unruhe im Verein. Auf dem Papier waren die Ergebnisse solide: 35 Siege in 56 Spielen, Vizemeisterschaft in der Süper Lig, 99 Tore in der Liga. Doch statt Euphorie blieb Ernüchterung.

Die Fans fordern seit Jahren den ersten Meistertitel seit 2014, interne Streitigkeiten und ein tiefsitzendes Misstrauen gegenüber dem türkischen Fußballverband verschärften die Lage. 

Ein WhatsApp-Skandal, der mutmaßlich feindselige Äußerungen von Verbandsmitgliedern gegen Fenerbahçe enthüllte, untermauerte den Verdacht systematischer Benachteiligung. Mourinho selbst griff diese Stimmung auf, doch seine defensive Spielweise, die in Europa Erfolge brachte, überzeugte die Vereinsführung im türkischen Alltag nicht.

Der bittere Abschied von Mourinho

Ende August zog Präsident Ali Koç die Reißleine. Offiziell sei nicht die Niederlage im Champions-League-Play-off gegen Benfica ausschlaggebend gewesen, sondern das Gefühl, dass Mourinhos Spielstil in der Türkei nicht funktioniere. „Wir müssen unsere Gegner vernichtend schlagen, nicht nur reagieren“, erklärte Koç. Ein schwerer Schritt, wie er betonte, doch ein notwendiger.

Die Trennung war symptomatisch für Fenerbahçes Lage: hohe Erwartungen, ein stetes Streben nach Dominanz, und gleichzeitig ein Umfeld, das sportliche Stabilität kaum zulässt.

Tedesco als Gegenentwurf?

Mit Domenico Tedesco setzt der Verein nun bewusst auf einen jüngeren, taktisch flexiblen Trainer. Der frühere Schalke-Coach gilt als akribischer Arbeiter, der Mannschaften strukturieren und kurzfristig stabilisieren kann. 

In Belgien führte er die Nationalelf souverän durch die EM-Qualifikation, auch wenn das Turnier selbst enttäuschend endete. Bei S04 schaffte er 2017/18 die wohl letzte erfolgreiche Saison bis heute, in Moskau holte er eine Vizemeisterschaft, mit RB Leipzig gewann er den DFB-Pokal.

Allerdings basiert auch Tedescos Ansatz stark auf defensiver Organisation und Stabilität. Ein Stil, der ihn sowohl auf Schalke als auch in Russland erfolgreich machte, der aber womöglich nicht mit dem offensiv dominierten Fußballbild übereinstimmt, das Präsident Koç präferiert. Die Gefahr, dass Fenerbahçe am Ende in einer ähnlichen Diskussion landet wie bei Mourinho, ist also nicht von der Hand zu weisen.

Chancen und Risiken bei Fenerbahce

Für Fenerbahçe könnte Tedesco dennoch der richtige Impulsgeber sein. Seine Fähigkeit, sich taktisch anzupassen und junge Spieler zu entwickeln, trifft auf eine Mannschaft, die zwar individuell stark besetzt ist, aber oft an mentalen Blockaden scheiterte. Gleichzeitig kennt er das Leben im medialen Dauerfeuer. Eine Grundvoraussetzung für den brodelnden Kessel von Kadıköy.

Doch die Herausforderungen sind gewaltig: Die institutionelle Krise des Vereins, die politischen Machtkämpfe im Umfeld und der unbändige Erwartungsdruck der Fans könnten auch Tedesco verschleißen. Anders als Mourinho bringt er nicht den Glanz großer Titel mit, sondern eher das Image des Strategen: ein Vorteil, wenn Geduld herrscht, ein Risiko, wenn Erfolge ausbleiben.

Anton Latuska
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