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"Keine Angst" vor der Historie: Nagelsmann bläst zum Angriff auf das Final Four

Nagelsmann will sich im Rückspiel gegen Italien nicht hinten reinstellen
Nagelsmann will sich im Rückspiel gegen Italien nicht hinten reinstellenLEON KUEGELER / AFP
Julian Nagelsmann zündete in bester Frühlingslaune Witze über Speed-Dating und seine einstigen Englisch-Noten in der Schule. Angst? Unruhe? Kein bisschen. Italien beschwört zwar verzweifelt den Geist von Dortmund, aber der Bundestrainer und seine Spieler lassen sich von derlei Historien-Hexerei nicht schrecken.

"Ach, da war ich elf", sagte Tim Kleindienst mit einem Schulterzucken über das deutsche WM-Trauma von 2006, "und mein Gedächtnis ist jetzt auch nicht das beste." Die Nationalmannschaft von heute will lieber ihre eigene Geschichte schreiben, oder, wie Nagelsmann es nennt: "Fußspuren in den Sand des Fußballs drücken."

Zum Match-Center: Deutschland vs. Italien

Das erste Italien-Kapitel ist bereits fertig und liest sich prächtig. Der 2:1-Sieg in Mailand im Viertelfinal-Hinspiel der Nations League war der erste beim viermaligen Weltmeister seit 1986 und der dritte in der langen Geschichte des Deutschen Fußball-Bundes. Am Sonntag (20.45 Uhr/RTL) soll es gegen den ewigen DFB-Angstgegner auch zu Hause klappen.

Es geht auch (mal) ohne Wirtz

Wobei: Angstgegner? "Ich habe keine Angst", sagt Nagelsmann, der beim Euphoriekiller der Halbfinal-Niederlage von 2006 immerhin schon 18 war. Gleichwohl werde es "spannend", die Ausgangslage sei komfortabel, aber gefährlich. "Wir haben ein paar Szenen geschnitten und kombinieren sie mit dem Matchplan", berichtete der Bundestrainer. "Wir werden ein bisschen was anpassen - aber nicht zu viel."

Manchmal, da scheint er sogar etwas zu verkopft über seiner Aufstellung zu brüten. Auch in San Siro musste Nagelsmann zur Halbzeit reagieren - er traf dann aber wie so oft die richtigen Entscheidungen: Nico Schlotterbeck machte die linke Abwehrseite dicht, Kleindienst traf unmittelbar nach seiner Einwechslung per Kopf. Der wuselige Jonathan Burkardt hatte sich gegen die kantige Abwehr deutlich schwerer getan.

Diese beiden Änderungen wird Nagelsmann wohl mit ins Rückspiel nehmen, Burkardt ist ohnehin erkrankt. Ansonsten sollte das Gerüst der Mailand-Sieger bestehen bleiben: Vom bärenstarken Torhüter Oliver Baumann über den gleich wieder unverzichtbaren Siegtorschützen Leon Goretzka hin zu Jamal Musiala in der offensiven Dreierreihe. Florian Wirtz und Kai Havertz stehen für den Drei-Zauberer-Zirkel weiterhin nicht zur Verfügung - aber in Italien zeigte die DFB-Elf, dass es auch (mal) ohne sie gehen kann.

Kein Abwehrbollwerk

Die deutsche Mannschaft könnte sich nun ganz italienisch zurückziehen und abwarten, Nagelsmann hält jedoch nichts davon. "Wir tun alle gut daran, in Dortmund wieder bei 0:0 zu starten", sagte er, "dann müssen wir nicht rumrechnen." Seine Gedanken pendeln: "Will man den Vorsprung ausbauen - oder geht man etwas mehr auf Sicherheit?"

Nagelsmann ist kein Mathematik-Lehrer, aber die Erfahrung wird ihm sagen, dass er mit einer 50:50-Einschätzung nicht mehr durchkommt. "Aus Trainersicht" würde er das zwar behaupten, betonte er. "Ein Mathematiker jedoch würde sagen: Was ist das für ein Quatsch? Weil wir eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, weiterzukommen."

Final Four in München?

So 65 bis 70 Prozent sollten es schon sein. Ist doch ordentlich - gegen einen Gegner, der sich selbstverständlich noch lange nicht aufgibt. "Luciano Spallettis Team muss jetzt ein Meisterwerk erschaffen", ahnt jedoch der Corriere dello Sport. Nagelsmann betont: "Auch die Italiener haben keine Zeitmaschine, um noch acht Trainingseinheiten einzuschieben und im Rückspiel alles anders zu machen."

Die DFB-Elf kann sich mit einem kleinen Heilpflaster auf die alte Italien-Wunde ein weiteres Heimturnier erspielen. Das Final Four der Nations League käme im Juni nach Stuttgart und München - mit einem Halbfinale gegen Dänemark oder Portugal (Hinspiel 1:0) und einem möglichen Finale gegen Spanien. Da war doch was? Genau. Aber an Historien-Hexerei glaubt Nagelsmann ja nicht.