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Interview mit Olympiasieger Lukas Märtens: "Der Weltrekord kam einfach"

Lukas Märtens nach dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft
Lukas Märtens nach dem Gewinn der Deutschen MeisterschaftČTK / DPA / Christoph Soeder
Olympiasieger und Weltrekordler Lukas Märtens ist der deutsche Star bei der Schwimm-WM in Singapur. Im Interview mit dem Sport-Informations-Dienst (SID) spricht der Gold-Favorit über seine neue Rolle, den Trubel nach dem Olympiasieg und gesundheitliche Probleme.

SID:

"Lukas Märtens, Sie haben vor einem Jahr Olympiagold gewonnen - das erste eines deutschen Beckenschwimmers nach 36 Jahren. Im April haben Sie den Fabelweltrekord von Paul Biedermann über 400 m Freistil nach 16 Jahren geknackt. Was war emotionaler für Sie?"

Lukas Märtens (Schwimm-Olympiasieger):

"Definitiv der Olympiasieg, denn es war ein langfristiges Ziel, das wir uns nach Tokio Schritt für Schritt vorgenommen und aufgebaut haben. Der Weltrekord kam einfach. Es war natürlich auch schön, weil er so unverhofft und so plötzlich kam, aber emotional war der Olympiasieg das Größte für mich, auch von der Anerkennung und vom Feedback von außen."

SID:

"Und was ist sportlich hochwertiger?"

Märtens:

"Der Weltrekord ist natürlich außergewöhnlich, vor allem auf der Strecke mit der Vorgeschichte. Aber nichtsdestotrotz ist der Olympiasieg wichtiger - vor allem nach so langer Zeit."

Goldmedaille "immer noch im Schlafzimmer"

SID:

"Wo ist Ihre Goldmedaille?"

Märtens:

"Sie liegt immer noch im Schlafzimmer, bei den Ehrungen, die nach den Spielen dazu gekommen sind. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, einen eigenen Schrank für die Olympia-Accessoires anzulegen, aber das habe ich noch nicht geschafft."

SID:

"Gab es für den Weltrekord neben der Prämie auch ein Zertifikat, das Sie an die Wand hängen können?"

Märtens:

"Eine Prämie gab es nicht, die gibt es nur bei der WM. Ich habe Geld für einen Veranstaltungsrekord bekommen und eine Urkunde von World Aquatics, die jetzt auch im Schlafzimmer steht. Alles in meinem Blickfeld."

SID:

"Wie lange haben Sie nach dem Olympiasieg gebraucht, richtig zu verstehen, was passiert ist?"

Märtens:

"Schon den einen oder anderen Monat. Ich habe mir auch viel Zeit genommen, mit meinen Jungs Urlaub gemacht. Sie war vonnöten, um vom Kopf her wieder bereit zu sein für neue Ziele."

SID:

"Es ist einiges auf Sie eingeprasselt. Fernsehauftritte, prominente Follower und Gratulanten. Wie sind Sie damit klargekommen?"

Märtens:

"Das ist ja für einen Schwimmer nicht selbstverständlich. Es ist eine absolute Ehre für mich, wenn mir so bekannte Personen schreiben, aber auch ganz normale Fans gratulieren. Es ist eine Auszeichnung und eine Bestätigung, dass in den letzten Jahren einiges richtig gelaufen ist. Darüber bin ich sehr happy, aber ich konzentriere mich weiter auf meinen Sport, weil noch einiges vor mir liegt. Ich bin auf jeden Fall noch nicht am Ende der Fahnenstange."

Auf den Erfolg folgt die depressive Verstimmung

SID:

"Rekord-Olympiasieger Michael Phelps hat nach seinen Erfolgen von post-olympischer Depression gesprochen. Sind Sie nach dem letzten Rennen in Paris auch in ein solches Loch gefallen?"

Märtens:

"Ja, ich denke, das ist ganz normal. Vor allem nach so einem großen Erfolg. Ich hatte nach dem Olympiasieg direkt das nächste Rennen und überhaupt keine Zeit, alles irgendwie sacken zu lassen. Deswegen sind sehr viel Anspannung und ganz viele Emotionen erst nach den Wettkämpfen abgefallen. Ich glaube, niemand macht nach einem olympischen Zyklus einfach so weiter."

SID:

"Sie arbeiten schon länger mit Sportpsychologen zusammen. Ist es auch ein Thema gewesen, wie man damit umgeht?"

Märtens:

"Absolut. Wir sind da auf einem sehr guten Weg, mich weiter zu stabilisieren. Ich bin schon immer ein Mensch gewesen, der auch nach großen Erfolgen auf dem Boden bleibt und sie einordnen kann. Da haben wir viel richtig gemacht in den letzten Jahren. Aber es gehört natürlich dazu, dass man nicht satt ist. Dass man sich neue Ziele steckt."

SID:

"Sie haben nach Olympia eine längere Pause gemacht, nach Urlaub und zwei Nasen-Operationen auch auf die Kurzbahn-WM verzichtet. War die Pause für den Kopf das Wichtigste?"

Märtens:

"Ja. Es war auch nach den Krankheitsgeschichten im Vorjahr absolut vonnöten, dem Kopf und auch dem Körper ein bisschen Ruhe zu gönnen. Ich war auf diesen Wettkampf Spitz auf Knopf vorbereitet worden, mit verschiedenen Antibiotika, mit all den Medikamenten. Ich bin ja noch relativ jung, wenn man da schon so mit seiner Gesundheit spielt oder immer versucht, schnell wieder fit zu werden, schnell wieder ranzukommen, geht das nicht lange gut."

Sportler des Jahres: Ausnahmsweise nur Zweiter

SID:

"Zu all den Ehrungen gehörte auch die Wahl zum Sportler des Jahres. Waren Sie über den zweiten Platz enttäuscht?"

Märtens:

"Natürlich will man als Sportler immer ganz oben stehen, das ist unser Antrieb. Aber ich habe mich auch über Platz zwei gefreut. Und Oliver Zeidler hat sie definitiv verdient. Ich habe ihm selbstverständlich gratuliert und gehe jetzt motiviert die nächsten Aufgaben an. Mein Ziel bleibt, sportlich weiter vorne mitzumischen, und vielleicht klappt es ja dieses Jahr."

SID:

"Sie haben sich nach der Pause mit dem Weltrekord in Stockholm zurückgemeldet, der alle überrascht hat. War er zu diesem Zeitpunkt eher Zufall als geplant?"

Märtens:

"Dieses Wort hätte ich jetzt nicht in den Mund genommen. Aber es hat anscheinend an diesem Tag alles gepasst. Ich habe schon vorher gesagt: Einen Weltrekord schwimmt man nicht, wenn man es unbedingt will. Eher wenn man den Ball flacher halten will, kommt sowas. Es war ein super Gefühl, allen zu zeigen: Es geht weiter, nach dem Olympiasieg ist nicht Schluss."

SID:

"In den vergangenen Jahren hatten Sie viele gesundheitliche Probleme, konnten nie richtig durchtrainieren. Sind Sie diese Saison gesünder durchgekommen?"

Märtens:

"Naja, es geht. Ich habe Anfang des Jahres angefangen, wieder richtig zu trainieren, aber es blieb nicht aus, auch mal wieder raus zu sein. Ich bin zum Höhentrainingslager verspätet angereist, weil ich wieder eine Bakterieninfektion hatte und ein Antibiotikum nehmen musste. Deswegen habe ich auch auf die Sette Colli in Rom als letzten Wettkampf vor der WM verzichtet. Mittlerweile fühle ich mich wieder richtig gut, bin super im Training."

Pausen sind Teil des Trainings

SID:

"Denken Sie manchmal: Wenn ich mal eine ganze Saison durchtrainieren könnte, wäre ich noch besser?"

Märtens:

"Wir haben darüber in der Trainingsgruppe auch mal philosophiert. Aber ich würde nicht sagen, dass ich dann noch besser wäre. Vielleicht wäre ich sogar schlechter, weil ich mir vom Kopf her überhaupt keine Pausen nehmen könnte. Ich denke, alles hat seinen Sinn. Es wäre natürlich schön, ein, zwei Krankheiten in der Saison weniger zu haben. Dann wäre auch mein Trainer beruhigter. Aber bisher lief es ja nicht so schlecht."

SID:

"Sie gehen als Olympiasieger und Weltrekordler in die WM. Sind Sie jetzt der Gejagte?"

Märtens:

"Ich sehe mich nicht als Gejagten. Ich sehe es eher als Chance an, mich weiter zu belohnen, den WM-Titel oder die Medaille in Singapur anzugreifen. Es kommt natürlich viel auf die Tagesform an, die Konkurrenten sind wieder saustark, sie schlafen nicht."

SID:

"WM-Gold ist die Medaille, die Ihnen noch fehlt..."

Märtens:

 "Genau. Der WM-Titel wäre noch eine Sache, die dazukommen könnte. Aber ich habe ja noch ein paar Jahre, noch ein paar Weltmeisterschaften. Die Chance werde ich noch öfter bekommen."

SID:

"Sie sind neben den 400 m auch für die 200 und 800 m Freistil sowie die 200 m Rücken qualifiziert? Welche Strecken schwimmen Sie?"

Märtens: "Ich konzentriere mich diesmal auf die 400 und 800 Freistil, die 200 m passen wegen der engen Wettkampfabfolge leider nicht rein. Das Finale wäre direkt am Abend davor. Und dann starte ich noch in der 4x200 und der Lagenstaffel sowie über 200 Rücken."

SID:

"Was rechnen Sie sich auf den anderen Strecken aus?"

Märtens:

"Einiges. Über 800 m bin ich sehr optimistisch und gespannt, was da noch möglich ist. Mit mehr Erfahrung, mehr Rennen steigt natürlich das Selbstbewusstsein, die Renntaktik ist bei mir noch nicht komplett ausgeprägt. Über 200 m Rücken bin ich noch nicht so ein Medaillenkandidat. Bei den Staffeln kommt es auch auf die anderen an. Ich bin optimistisch, dass es eine gute WM wird."

Wellbrock hat sich "wieder gut entwickelt"

SID: 

"In den vergangenen Jahren war Florian Wellbrock der deutsche Vorzeigeschwimmer, der die Sportart aus der Krise geholt hat. Jetzt sind Sie derjenige, auf den alle schauen. Wie sehen Sie Ihre Rolle in der deutschen Mannschaft?"

Märtens:

"Ich bin ja der, der den ersten Tag eröffnet. Meistens gut. Deswegen sehe ich es auch als meine Aufgabe an, dem Team einen Push zu geben, zu motivieren. Aber natürlich muss man vor allem auf sich schauen, wir sind ja eine Einzelsportart. Wir haben ein starkes Team, der Druck ist gut aufgeteilt. Sven Schwarz hat sich in der Weltspitze etabliert. Oliver Klemet ist ein Kandidat, der was mitnehmen will. Über Florian Wellbrock brauche ich gar nicht zu reden."

SID:

"Wellbrock steckt in einer schwierigen Phase. Wie haben Sie ihn nach Paris erlebt? Haben Sie das Gefühl, dass er zurückkommt?"

Märtens:

"Das ist schwer zu sagen. Ich kenne Flo jetzt schon ein paar Jahre. Er hat sich in diesem Jahr wieder gut entwickelt, stabil gezeigt, sowohl im Training als auch im Wettkampf. Jeder weiß, wie viel ich von ihm halte - als Mensch und als Sportler. Deswegen bin ich gespannt auf ihn und werde ihn, so gut es geht, pushen. Oder wir pushen uns einfach gegenseitig."