Kommentar: Das bedeutet Neymars Saisonaus für Paris und den Spieler
Als am 6. März 2023 die Nachricht über Neymars Saisonaus aufgrund einer erneuten Knöchelverletzung die Runde in den News machte, zuckten die meisten wohl lediglich mit den Schultern. Es ist ein weiteres von etlichen Kapiteln in der Krankenakte des Superstars.
In einem Paralleluniversum hätte dies eine sensationelle Hiobsbotschaft für PSG und die Fußballwelt sein können. Denn obwohl Neymar in puncto Sympathie die Geister scheidet - die einen lieben ihn, die anderen hegen tiefe Abneigung. Das fußballerische Talent, das der Brasilianer 2013 aus Santos nach Barcelona mitgebracht hatte, sucht bis heute, vielleicht sogar weltweit, seinesgleichen. Und auch ich muss gestehen: Als Liebhaber des technisch feinen Samba-Fußballs hoffe ich nach wie vor auf ein Happy End zwischen Neymar und dem Sport.
Unvollendetes Kapitel Paris
Nun, 10 Jahre später, ist "Joia" zwar Champions-League-Sieger und teuerster Vereinstransfer aller Zeiten. Dem gegenüber stehen jedoch etliche Verletzungen, Eskapaden abseits des Spielfeldes sowie Undiszipliniertheiten en masse. 22 Ligaspiele waren sein Saison-Einsatzrekord in der Ligue 1 seit seinem Wechsel 2017 in die französische Hauptstadt. Die Statistiken stimmen dabei: In jeder Saison kam er auf mindestens 15 Ligatreffer und zahlreiche Assists. Dennoch zu wenig, um das ausgesprochene Ziel zu erreichen und an die Rekordzahlen von einem Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo heranzukommen.
Das Kapitel Paris könnte für Neymar außerdem bereits in seine finale Phase gehen, womöglich hat er sein letztes Spiel im Prinzenpark sogar schon absolviert. Denn der Club möchte ihn loswerden und ist wohl bereit, ihn auch für ein fettes Transfer-Minus abzugeben. Dabei hätte das Märchen 2020 beinahe seinen krönenden Abschluss gefunden: Unter Thomas Tuchel war das Pariser Superstar-Ensemble nämlich als Team zusammen gewachsen. Neymar zeigte sich in dieser Spielzeit gereift und als Team-Player. In neun Spielen in eben jener Champions-League-Saison wies er ebenso viele direkte Torbeteiligungen auf und führte die Pariser fast bis zum Schluss. Im Finale unterlag man jedoch dem FC Bayern unglücklich mit 0:1.
Danach ging es bergab: Verletzungen, interne Diskrepanzen mit dem rasant aufsteigenden Kylian Mbappe, die Verpflichtung von Messi. Drei Dinge, die dazu geführt haben, dass Neymar 2023 schon lange nicht mehr als der erste Name des Hauptstadtklubs gilt. Ganz im Gegenteil: Mediale Kritik zieht er aufgrund seiner Persona förmlich an. "Es ist nicht gut für Bayern, wenn Neymar ausfällt", spöttelte auch Felix Magath nach dem Achtelfinal-Hinspiel gegen Bayern München (0:1).
Neymar: Eine ewige Leidensgeschichte
Kritik, die natürlich überzogen ist. In Topform ist Neymar nach wie vor einer von vielleicht einer Handvoll Spielern weltweit, die alleine den Unterschied auf höchstem Level machen können. Seine Technik und Effizient im Eins-gegen-Eins sind im modernen Fußball unerreicht, sein Auge für die Schnittstelle kann in jedem Moment jede gegnerische Abwehrreihe alt aussehen lassen.
Noch dazu kommt: Der Brasilianer spielt im Pariser System wie in Brasilien als eine Art Zehner - eine Position, die im dynamischen Fußball von heute eigentlich als ausgestorbern gilt. Als einer der wenigen seiner Zunft gelingt es Neymar dennoch mit Bravour, regelmäßig Spiele aus dem offensiven Mittelfeld an sich zu reißen. Ihn aufgrund eines schwachen Spiels als Handicap anzuzählen, ist schlichtweg nicht sachlich. Vergessen wir nicht: 2021 schaltete Neymar mit einer Gala-Vorstellung im Hinspiel (2 Vorlagen) Bayern München praktisch im Alleingang aus.
Eine Vielzahl von Negativem in Neymars Karriere hängt vor allem auch mit einem Faktor zusammen: Pech. Am besten spiegelt sich dies im Abschneiden der brasilianischen Nationalmannschaft bei der WM 2022 in Katar wider. Hart angegangen von allen Seiten verletzte sich Neymar direkt im ersten Spiel gegen Serbien am Knöchel, drohte zwischenzeitlich für den Rest des Turniers auszufallen und fehlte seinem Team an allen Ecken und Enden.
Bereits im Achtelfinale kam er dann doch zurück, spielte eine gute Rolle und traf beim 4:1-Sieg gegen Südkorea per Elfmeter. Im Viertelfinale war er es, der Brasilien durch eine brillante Einzelaktion in der Verlängerung gegen Kroatien zum 1:0 schoss. Endlich schien er der Rolle gerecht zu werden, die von seinen Landsleuten seit seinen 17 Scorern in 33 Spielen während seiner ersten Santos-Saison 2009 für ihn vorgesehen war.
Ist es Neymar anzulasten, dass Brasilien aufgrund einer Unaufmerksamkeit in der Defensive noch den Ausgleich kassierte, und dann im Elfmeterschießen den Kürzeren zog? Wer weiß, wo die Reise für Brasilien hingegangen wäre, hätte man das Halbfinale erreicht. Ähnliches gilt für das Champions-League-Finale 2020, in dem Nuancen entschieden haben - und Paris das Glück einfach nicht auf seiner Seite hatte.
Chelsea, Spanien oder Exil: Wie geht es für Neymar weiter?
Der Fußball ist aber nunmal kein Sport des Konjunktivs. So steht Neymar im Sommer 2023, im Spätsommer seiner Karriere, am Scheideweg. "Ich werde stärker zurückkommen", äußerte er sich in den sozialen Medien nach der Verkündung des Saisonaus. Wir hoffen es sehr. Die Frage ist nur: Wo, wann und wie? Verlässt er Paris St. Germain unvollendet, sitzt er seinen Vertrag ab - oder reißt er gar nochmals das Ruder herum?
Der FC Chelsea soll wohl großes Interesse zeigen. Doch ob die Premier League, bekannt für ihre harte und laufintensive Spielweise, etwas für den filigranen Edeltechniker ist? Fraglich.
Weitere Optionen, die eher zu seiner Spielweise passen könnten, wären eine Rückkehr nach Spanien oder ein Neuanfang in Italien. Real Madrid wäre erst einmal Tabu-Thema, denn Neymar war von 2013 bis 2017 bei Erzrivale Barcelona tätig. Eine Rückkehr zu den Katalanen scheint aufgrund deren finanziell angespannter Lage unwahrscheinlich. Vereine wie Juventus Turin oder vor allem der SSC Neapel, der gegenwärtig eine Hochphase in der Vereinsgeschichte erlebt, stellen rein sportlich mit Sicherheit interessante Alternativen dar. Hier stellt sich nur stets die Frage: Wer kann und will sich Neymar leisten?
Eine weitere Möglichkeit wäre der Verbleib in Paris. Eine Voraussetzung dafür wäre, dass die Parteien Neymar und Mbappe zusammenfinden. Aktuell scheint dies eher unrealistisch, wurden seit Monaten doch Gerüchte laut, dass der Franzose den einstigen Kumpel aufgrund dessen Arbeitseinstellung loswerden will. Auch bei den Fans ist der Superstar bereits mehrfach in Ungnade gefallen. Generell scheint Paris ein Imperium um Mbappe aufbauen zu wollen. Aus Klub-Perspektive ist der Wunsch, Konfliktpotenziell loswerden zu wollen, verständlich. Neymar wird nicht zwingend für eine Neuausrichtung gebraucht.
Es bleibt aus unserer Sicht nur zu hoffen, dass der Mann aus Sao Paulo zum Wohle der eigenen Karriere sowie des Fußballs eine der angesprochenen Varianten wählt - und nicht etwa der Verlockung des Geldes aus den Vereinigten Staaten, Nordasien oder Saudi Arabien erliegt. Denn mit 31 Jahren ist Neymar Jr. nach wie vor im besten Fußballalter und hat, davon bin ich fest überzeugt, dem Fußball auf Topniveau noch so einiges zu geben - sowohl auf Vereins- als auch auf Nationalmannschaftsebene.