Hasan Salihamidzic ließ sich nach dem Schlusspfiff zu einer Lobeshymne hinreißen: "Er hat das sehr, sehr gut gemacht heute. Guter Spieler, wirklich guter Spieler. Er macht das gut mit dem Körper, schirmt den Ball gut ab und ist vor der Kiste gut. Zudem hat er eine gute Schusstechnik, ich finde ihn wirklich gut", zitiert die Frankfurter Rundschau Bayerns Sportvorstand. Die Rede ist von keinem FCB-Akteur. Die Rede ist von Mergim Berisha. Er bereitete den Münchnern durch seinen Doppelpack gehörige Kopfschmerzen.
Nur zwei Minuten waren gespielt, da war ihm bereits gelungen, woran wenige Tage zuvor Messi und Mbappé 90 Minuten lang gescheitert sind. Durch einen simplen Lupfer narrte Berisha die gesamte gegnerische Abwehr, zog staubtrocken ins Eck ab. Pavard und Sommer konnten sich nur noch über das Gegentor ärgern. In der 60. Minute verwertete er – wenn auch mit etwas Glück – einen Strafstoß. Sein achtes Saisontor in der laufenden Bundesliga-Saison.
Es waren nicht seine ersten Tore, die er gegen den großen FC Bayern erzielen konnte. In der Champions-League-Gruppenphase 20/21 traf er mit RB Salzburg auf den deutschen Rekordmeister. Salzburg verlor beide Duelle klar. Der damals 22-Jährige hinterließ trotzdem seine Duftspuren, traf in beiden Duellen. Insgesamt traf er in sechs Einsätzen in der europäischen Königsklasse viermal.
Obwohl er den Fans in der Bundesrepublik großflächig erst seit Anfang dieser Saison ein Begriff sein dürfte: Mergim Berisha ist ein erfahrener Spieler. Berisha entstammt der Fußballschule von Red Bull Salzburg. Er ist in Berchtesgaden aufgewachsen, besuchte in der 26 Kilometer entfernten Mozartstadt ein Gymnasium. Mit Marco Rose als Trainer gewann er 2016/17 die UEFA Youth League.
Sprungbrett Österreich: Rose und Glasner als Ex-Trainer
Durch die vergleichsweise geringe Qualität in der österreichischen Bundesliga kann es sich Salzburg immer wieder erlauben, junge Talente früh ins kalte Wasser zu werfen. Berisha gab im zarten Alter von 18 Jahren sein Debüt bei den Profis. Lange Zeit blieb ihm auch in der Alpenrepublik der Durchbruch verwehrt. Das Verhältnis zu Rose – der vom Jugend- zum Cheftrainer aufgestiegen war, musste als angespannt beschrieben werden.
Der heutige Leipzig-Trainer wusste um sein Talent, stellte ihm aber auch regelmäßig die Rute ins Fenster. Er brauche "mehr Überzeugung". Dreimal wurde Berisha verliehen. Zunächst an den Ligakonkurrenten LASK, wo er von Oliver Glasner trainiert wurde. Später an den 1. FC Magdeburg in die 2. Bundesliga. Zuletzt an den "Dorfclub" SCR Altach. Während zwölf Monate in Vorarlberg gelang es Berisha, seine Fähigkeiten kontinuierlich auf den Platz zu bringen. In 31 Ligaspielen erzielte er 14 Treffer und gab neun Torvorlagen.
In Salzburg blieb das nicht unbemerkt, ihm wurde eine zweite Chance gegeben. "Weil sich Mergim im letzten Jahr sehr gut entwickelt hat, haben wir ihn zum FC Red Bull Salzburg zurückgeholt. Wir glauben, dass er bei uns auch durch die veränderte Kadersituation eine gute Rolle spielen wird", erklärte damals Sportdirektor Christoph Freund. Berisha nutzte seine Gelegenheit, nahm endlich die erhoffte wichtige Rolle in Salzburg ein.
Sein Marktwert stieg laut "transfermarkt.de" zwischenzeitlich auf 10 Millionen Euro an. Der türkische Traditionsverein Fenerbahçe ließ sich seine Dienste immerhin eine Ablöse von 5 Millionen Euro kosten. In der Süper Lig überzeugte Berisha aber nur bedingt. Vergangenen August handelte der FC Augsburg eine Leihe inklusive Kaufoption aus. Wie hoch diese ist, wissen wir nicht. Dass der FCA mit einer extrem hohen Wahrscheinlichkeit die Option ziehen wird, allerdings schon.
Das volle Paket
Mergim Berisha ist ein technisch versierter, dennoch körperlich robuster Mittelstürmer. Er kann sich auf engstem Raum den nötigen Platz für einen Torabschluss verschaffen. Seine Körpergröße von 1,88 Metern setzt er vorzugsweise ein, um den Ball abzuschirmen – nicht um Kopfballduelle zu gewinnen. Für Bundestrainer Hansi Flick könnte er ein fehlendes Puzzlestück sein.
Spätestens seit dem Karriereende von Miroslav Klose gab es in Deutschland keinen klassischen Stürmer von internationalem Format mehr. Passenderweise entwickelte Niclas Füllkrug pünktlich vor der WM in Katar eine herausragende Form. Flick wäre gut beraten gewesen, ihn öfter einzusetzen. In nur 66 Einsatzminuten erzielte der Werder-Stürmer zwei Treffer und gab einen Assist.
Auf der Suche nach den Problemstellen in der Nationalmannschaft stolperte Flicks Trainerstab immer wieder über ein Thema: die mangelnde Chancenverwertung. Mehr Einsatzzeit für Füllkrug hätte diese Debatte vielleicht auf Sparflamme gehalten – sie aber noch nicht beendet. Denn eine Allzweckwaffe ist der 30-Jährige nicht. Als Zielspieler ist er großartig. Doch was, wenn mal das Kombinationsspiel im Vordergrund stehen soll? Dann müsste Flick nach alter Denkschule wieder Kai Havertz zweckentfremden und ihn als "falsche Neun" einsetzen.
Dauerhaft kann das nicht die richtige Lösung sein. Deutschland braucht einen Spieler, der weiß, wie sich ein Mittelstürmer zu bewegen hat – und der weiß, wie er seine Mitspieler zum Glänzen bringen kann. Rasch muss der Bundestrainer seinen Stamm zu finden, mit dem er sich dann gezielt auf die Europameisterschaft 2024 vorbereitet.
Auf einen weiteren Namen darf nicht vergessen werden: Timo Werner ist der passende Mann, wenn die Tiefe gesucht wird. Er hat einen Geschwindigkeitsvorteil gegenüber dem U21-Europameister von 2021, keine Frage.
Berisha ist aber der komplettere Angreifer. Seine Spitzengeschwindigkeit ist nur um 3 km/h geringer als jene von Werner. Doch der Leipziger gewann in dieser Saison in 18 Einsätzen erst ein Kopfballduell. In ebenso vielen Einsätzen gewann Berisha 37 Luftduelle. Auch im Zweikampfverhalten ist Berisha deutlich aggressiver und durchsetzungsfähiger.
In einem Interview mit dem kicker kündigte er bereits jüngeren Spielern "eine Chance geben" zu wollen. Wenn nicht in den Länderspielen gegen Peru und Belgien: Wann sonst soll man Spielern wie Mergim Berisha ermöglichen, sich auf der ganz großen Bühne zu beweisen?
Ein Bekenntnis zu Schwarz-Rot-Gold hat der Deutsch-Kosovare bereits abgegeben. Gegenüber der Bild-Zeitung sagte er, es sei immer ein Traum gewesen "eines Tages den Adler auf der Brust zu tragen“. Womit der deutsche Bundesadler gemeint ist. Ein Glücksfall für Hansi Flick und den DFB.