Tadej Pogacar trat die Reise von seinem strahlenden Domizil Monte Carlo zum Arbeitsplatz im grauen Nordfrankreich mit wissendem Lächeln an. Er habe richtig Bock auf die Tour de France, verkündete der Titelverteidiger: "Die Vorbereitung lief diesmal nahezu perfekt." Prächtig seien seine "Vibes", alles fühle sich "ganz geschmeidig" an. Und all jene, die sich leichtfertig für Herausforderer halten, durften die demonstrative Vorfreude des Radsport-Fürsten als Warnung verstehen.
Historischer vierter Sieg möglich
Pogacar, 26 Jahre alt und im Hauptberuf Radsport-Phänomen, geht am Samstag in Lille in die Frankreich-Rundfahrt, um diese so früh wie noch niemand in seiner Karriere zum vierten Mal zu gewinnen. "Die Tour ist immer unvorhersehbar. Ich erwarte einen gewaltigen Kampf bis Paris", sagt der Slowene. Doch nach anderthalb Jahren, in denen Pogacar den Weltradsport dominierte wie lange niemand, zeichnen sich kaum ebenbürtige Gegner ab.
"Ich muss besser sein als jemals zuvor. Denn auch Tadej wird diesmal besser sein als jemals zuvor", sagt Pogacars alter Hauptrivale Jonas Vingegaard. Der dänische Tour-Sieger von 2022 und 2023 kommt zwar diesmal nicht wie 2024 notdürftig zusammengeflickt, sondern mutmaßlich in Topform zur Tour. Und auch andere Profis haben sich prächtig entwickelt. Dennoch sind die Rollen klar verteilt.
Sportlich kaum zu schlagen
Ganz oben steht Fünf-Sterne-Favorit Pogacar, darunter der viersternige Däne, noch eins tiefer ein Rudel Topfahrer wie Olympiasieger Remco Evenepoel sowie das deutsch-slowenische Red-Bull-Duo Primoz Roglic und Florian Lipowitz. Doch täuschen die Eindrücke von der Dauphiné nicht - Pogacar gewann die Tour-Generalprobe Anfang Juni souverän vor Vingegaard und Lipowitz -, ist "Pogi" dem Rest der Welt weit voraus. Zumal er auf ein perfekt eingespieltes UAE-Team um den Kölner Nils Politt bauen kann.
"Gänzlich kann man auch nach der besten Vorbereitung nicht sicher sein", sagt Pogacar. Aber dass ihn jemand in den kommenden gut drei Wochen ab Nordfrankreich durch Zentralmassiv und Pyrenäen, über Ventoux und Alpen rein sportlich besiegt, also ohne einen Sturz des Slowenen, wäre in Anbetracht der jüngsten Dominanz ein, pardon: Lille-Hammer. "Aktuell führt kein Weg an Pogacar vorbei", sagte Ex-Champ Jan Ullrich der Sport Bild.
Krönt er sein erfolgreiches Jahr?
Bei der Dauphiné wirkte Pogacar extrem ausgeruht, was nach einem Frühjahr, in dem er Klassiker um Klassiker bestritt (und oft gewann), durchaus bemerkenswert ist. Apropos Klassiker: Obwohl Pogacar längst ein überragender Eintages-Fahrer ist, verdeutlicht dessen Ausnahmestellung erst der Blick auf die Bilanz bei Etappenrennen - sie ist schwindelerregend.
Sieben große Landesrundfahrten hat Pogacar bestritten und alle auf dem Podium beendet (viermal Sieger, zweimal Zweiter, nur beim Debüt 2019 bei der Vuelta Dritter). Ab seinem ersten Tour-Sieg 2020 gerechnet, bestritt Pogacar 19 Etappenrennen: 16 (!) gewann er, zweimal schlug ihn Vingegaard bei der Tour, bei der Baskenland-Rundfahrt 2021 wurde Pogacar Dritter.
Ein Ende dieser beispiellosen Erfolgsgeschichte ist unabsehbar, Tour-Sieg vier wäre folgerichtig. Sechs Fahrer - den später ausradierten Lance Armstrong eingerechnet - haben die Tour mindestens viermal gewonnen. Eddy Merckx war 1972 mit 27 Jahren und 37 Tagen der jüngste "Quadruple"-Champion, Pogacar wäre erst 26 Jahre und 310 Tage alt.
Doch was heißt schon "erst". "Ich kann kaum glauben, dass das schon meine sechste Tour ist", sagt Pogacar: "Meine Güte, wie die Zeit verfliegt." Auf Altersmilde dürfen die Rivalen freilich nicht hoffen.