Carlos Alcaraz verfolgte ganz entspannt vor dem Hotelfernseher, wie sich Jannik Sinner und Novak Djokovic fast dreieinhalb Stunden lang in einem packenden Halbfinale über den Platz jagten. "Das sind zwei so großartige Spieler", sagte der Spanier, "aber Jannik ist derzeit der beste der Welt. Das wird ein wirklich großartiger Sonntag für alle Tennis-Fans."
Sportlich ist das Endspiel der ATP French Open 2025 am Sonntag (15 Uhr/Eurosport) das absolute Optimum: Sinner – Nummer eins der Welt – trifft auf Titelverteidiger Alcaraz.

"Vor allem auf dieser Bühne geht es nicht größer", sagt Sinner: "Wir sind zwei Spieler, die sich gegenseitig besser machen, wir pushen uns. So ein Match bringt nicht nur den Zuschauern Spaß, sondern auch uns selbst."
Alcaraz: Sinner hat Gegner "zerstört"
Vor dem Spaß stand die harte Arbeit. Sinner – der den hartnäckigen Djokovic am Freitagabend 6:4, 7:5, 7:6 (7:3) besiegte – bekam in den zurückliegenden zwei Wochen rein gar nichts geschenkt.
Körperlich hat Sinner einen vielleicht entscheidenden Vorteil. Der Südtiroler kommt auf deutlich weniger Spieldauer als sein spanischer Gegner. Er gab im Turnierverlauf der ATP French Open 2025 noch keinen einzigen Satz ab – Alcaraz hingegen vier Stück.
"Er hat seine Gegner bis ins Halbfinale zerstört", sagte der Spanier, der sich im Vorjahr im Halbfinale von Roland Garros gegen Sinner in fünf Sätzen durchgesetzt hat: "Ich liebe ja den Kampf. Aber gegen ihn bedeutet das meistens für mich, dass ich leide."
Premiere mit historischem Charakter
Zum ersten Mal bestreiten diese beiden besten Spieler der Welt das Finale eines Grand Slams gegeneinander. Eine Serie wird auf alle Fälle enden: Alcaraz (4:0) und Sinner (3:0) kommen in Major-Endspielen jeweils auf eine makellose Bilanz. Historisch starke Werte.

Zum Vergleich: Djokovic verlor zwei der ersten drei Endspiele, darunter auch seine Premiere. Rafael Nadal kassierte beim dritten Versuch die erste Pleite. Einzig Roger Federer sticht heraus: Der Schweizer seine ersten sieben Grand-Slam-Finals.
Jannik Sinner ist ein "Roboter"
Dass Sinner auch auf Sand – bislang holte er auf diesem Belag nur einen Titel, 2022 in Umag gegen Alcaraz – dominiert, überrascht nur auf den ersten Blick. Auf jedes Match ist der 23-Jährige perfekt vorbereitet. Zudem verfügt er über ein einzigartiges Spielverständnis, erkennt frühzeitig die Muster seiner Gegner und besitzt ein auf der ATP-Tour unnachahmliches Timing.
Schlagabfolgen antizipiert er wie kein Anderer, in dieser Hinsicht gleicht er beinahe einem hochintelligenten Schachspieler, der mehrere Züge im Voraus plant. Auch körperlich befindet sich der Italiener in einem Top-Zustand. Alexander Bublik verglich ihn nach der Niederlage im Viertelfinale mit einem "Roboter".

Auch die Stopps, mit denen Djokovic zuvor im Viertelfinale Alexander Zverev geknackt hatte, antizipierte Sinner mustergültig. Eine Fähigkeit, die ihm auch im Endspiel gegen Alcaraz zugutekommen wird.
"Man geht ja nicht einfach auf den Court und schlägt Bälle", sagte Sinner, für den seine erst Anfang Mai abgelaufene Dopingsperre nur wenige Wochen später allenfalls ein Randthema.
Alcaraz auf Nadals Spuren
Doch Alcaraz wirkt psychisch ebenfalls sehr gefestigt. Auf dem Weg ins Endspiel hat mehrere heikle Situationen überstanden. Im Halbfinale wurde er von Lorenzo Musetti zunächst dominiert, Alcaraz blieb aber ruhig und fokussierte sich auf seine eigenen Stärken: Laufstärke, Spielwitz, Athletik.
Nach rund zweieinhalb Stunden profitierte er schließlich davon, dass Musetti wegen einer Muskelzerrung aufgeben musste. Eine Verletzung, die auch eine logischen Folge der riskanten, laufintensiven Strategie Musettis war. Der 23-Jährige versuchte von Anfang an, seinen Gegner in Bewegung zu bringen – und zahlte für diese körperlich anspruchsvolle Taktik seinen Preis.
Alcaraz wandelt auf den Spuren seines berühmten Landsmanns Rafael Nadal. Der hat in Paris 14 Titel gewonnen, noch heute genießt er in der französischen Metropole Legendenstatus.
Apropos Rafa: Dieser holte seinen fünften Major-Titel 2008 in Wimbledon im Alter von exakt 22 Jahren, einem Monat und drei Tagen. Alcaraz könnte am Sonntag seinen fünften Grand Slam gewinnen mit – erraten! – 22 Jahren, einem Monat und drei Tagen.
Alcaraz vs. Sinner: Noch kein Klassiker
So viel steht fest: Das ist ein echtes Traumfinale. Ein Kracher, ein Gipfeltreffen. Was es noch nicht ist, darauf wies Djokovic hin: Ein Klassiker.
So wie es jene Spiele zwischen dem "Djoker" und Nadal und Federer waren. 60-mal spielte Djokovic gegen Nadal, 50-mal gegen Federer. "Um dahin zu kommen, müssen Jannik und Carlos erstmal mehr als zehn Jahre lang gegeneinander spielen", sagte der Serbe mit einem leichten Lachen.