So weit ist es also schon gekommen. Jannik Sinner erteilt mittlerweile auch Top-Ten-Spielern in einem Grand-Slam-Viertelfinale Lehrstunden. "Jannik war in vielen, vielen Situationen auf einem anderen Level. Ich habe ehrlich gesagt nie gegen jemanden gespielt, der mich so unter Druck gesetzt hat", gestand Lorenzo Musetti nach der 1:6, 4:6, 2:6-Niederlage gegen seinen italienischen Landsmann. Der tritt bei den US Open weiter chirurgisch präzise auf, ist immer hellwach – und anscheinend nie aus der Ruhe zu bringen.
Für Sinner – den Alexander Bublik nach der 1:6, 1:6, 1:6-Demontage im Achtelfinale als "KI-generierten Spieler" bezeichnet hatte – scheint es auf dem Weg ins Endspiel am Sonntag keine Gegner zu geben. Denn qua Weltranglistenpositionen und Setzliste ist erst dann die nächste Auflage des Duells mit Carlos Alcaraz möglich, dem anderen Außerirdischen im Profitennis.
Auf Federers Spuren
Sinner aber gibt sich demütig, wie man ihn kennt. "Wir versuchen, uns stets bestmöglich vorzubereiten", sagte er ausweichend nach seinem 26. Hartplatz-Sieg in Folge bei einem Grand-Slam-Turnier. Allein Roger Federer (40) und Novak Djokovic (27) schafften noch längere Serien.
Auffällig ist: Immer häufiger fallen die Namen der allerbesten, will man Sinners Leistungen historisch einordnen. Bislang hat etwa allein der Schweizer Federer die Australian Open und die US Open in zwei aufeinanderfolgenden Jahren gewinnen können, 2006 und 2007 war das. Sinner fehlen zum Gleichziehen mit dem "Maestro" lediglich zwei weitere Matcherfolge in Flushing Meadows.
Auch würde der Südtiroler bereits mit einem Sieg über den Weltranglisten-27. und Zverev-Bezwinger Félix Auger-Aliassime in einen weiteren äußerst exklusiven Zirkel eintreten: Nur Rod Laver, Federer und Djokovic haben in der Open Era, also ab 1968, in einer Saison die Finals aller vier Grand-Slam-Turniere erreicht.
Und Sinner kann bei den US Open, dem allem Anschein nach offensten Grand-Slam-Turnier – in den vergangenen 16 Auflagen haben zehn Männer den Titel geholt – als erster seit Federer 2008 den Titel erfolgreich verteidigen.
Klarer Favorit im Halbfinale
Die größte Konkurrenz droht ihm aus der unteren Hälfte des Turnierbaums in Person seines Dauerrivalen Alcaraz und des wild entschlossenen Djokovic (38), der wie ansonsten nur Sinner in diesem Jahr bei jedem Grand-Slam-Turnier im Halbfinale stand.
Feiner Unterschied: Das Endspiel erreichte der Major-Rekordsieger aus Serbien bei den ersten drei Anläufen nicht – während der 24-jährige Sinner und der zwei Jahre jüngere Alcaraz die vergangenen sieben Grand-Slam-Titel untereinander aufteilten.

An die nächste Auflage von "Sincaraz" möchte zumindest der Italiener aber noch nicht denken, stattdessen warnt er vor Auger-Aliassime, auf den er am Freitag trifft: "Er hat einige große Siege errungen, das gibt ihm einen enormen Selbstvertrauensschub."
Tatsächlich hat der Kanadier in Runde drei immerhin den Weltranglistendritten Zverev nach starker Leistung rausgeworfen und im Viertelfinale mit Alex de Minaur einen weiteren Top-Ten-Spieler eliminiert. Das jüngste Duell mit Sinner liegt allerdings erst drei Wochen zurück – und endete aus Sicht von Auger-Aliassime mit 0:6, 2:6. Folgt die nächste Lehrstunde?
Match-Center: Sinner vs. Auger-Aliassime