Ex-Milan-Profi Nocerino im exklusiven Interview: "Luis Enrique einer der Besten"

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Ex-Milan-Profi Nocerino im exklusiven Interview: "Luis Enrique einer der Besten"

Ex-Milan-Profi Nocerino im exklusiven Interview: "Luis Enrique einer der Besten"
Ex-Milan-Profi Nocerino im exklusiven Interview: "Luis Enrique einer der Besten"Profimedia
Der ehemalige italienische Nationalspieler Antonio Nocerino (Juventus, AC Mailand, Palermo) sprach exklusiv mit Flashscore-Ableger Diretta.it über die Chancen der verbliebenen WM-Teilnehmer. Selbst drückt der gebürtige Neapolitaner Argentinien die Daumen. Doch auch die Spielweise von Ex-Spanien-Trainer Luis Enrique hatte es ihm angetan. Auch über sein neues Abenteuer als Trainer der Primavera von Potenza Calcio sprach er ausführlich.

Antonio Nocerino (37) muss nichts bereuen. Seine Karriere war ein Crescendo, ein steter Aufstieg, der ihn über die Jugendmannschaft von Juventus fast bis zum Erfolg bei der Europameisterschaft 2012 führte: Italien ging gegen Spanien schließlich 4:0 (2:0) unter - doch viele wertvolle Erinnerungen sind geblieben. Viele Jahre, nachdem er die Stiefel an den Nagel gehängt und eine mehr als 20-jährige Karriere beendet hat, blickt Nocerino mit uns auf seinen Werdegang als Fußballprofi zurück.

"Eine verrückte und seltsame WM"

Beim Zurückblicken ruft sich der Italiener fast ausschließlich schöne Momente in Erinnerung: einzig der Makel, nie an einer Weltmeisterschaft teilgenommen zu haben, verfolgt den 15-fachen Nationalspieler gelegentlich noch:

"Ich habe mein Bestes gegeben. Ich habe darauf gehofft, aber es ist leider nie zu einer Teilnahme gekommen. Die Enttäuschung war groß. Ich hatte die Hoffnungen, bei der Weltmeisterschaft 2010 oder 2014 dabei zu sein: Ich hätte es schaffen können. Ich habe für Palermo und dann für den AC Mailand gespielt, es ging mir körperlich gut und meine Leistungen gingen aufwärts. Ich habe getan, was ich konnte. Wenn die Dinge nicht bei einem selbst liegen, ist es oft schwierig. Aber heute ist es für mich in Ordnung."

Nocerino im italienischen Nationaltrikot
Nocerino im italienischen NationaltrikotProfimedia

Bei der WM 2010 war es Spanien, das sich im Finale gegen die Niederlande durchsetzte. 2014 gewann Deutschland Pokal durch einen Sieg über Argentinien. Von diesen vier einstigen Finalisten befindet sich in Katar nur noch die Albiceleste im Titelrennen. Das frühe Ausscheiden von Deutschland und der Auswahl von Luis Enrique verblüffte Nocerino: "Das ist eine verrückte und seltsame Weltmeisterschaft. Für Enrique tut es mir leid", sagte der ehemalige Mittelfeldspieler über den mittlerweile entlassenen Spanien-Coach, "Spaniens Konzept und die Spielweise haben mich beeindruckt. Ich bin in Enrique als Trainer verliebt. Er macht mich geradezu verrückt - wie er kommuniziert, wie er das Training leitet, welche Lösungsvorschläge er macht. Für mich ist er als Trainer ein Bezugspunkt. Einer der drei, vier Besten aller Zeiten."

Auch das Ausscheiden von Brasilien und Portugal gegen Kroatien bzw. Marokko erlebte er als Schock: "Das hätte ich nie erwartet. Wir müssen Ländern wie Marokko und Kroatien mehr Anerkennung zollen." Zu den vier Halbfinalisten hat Nocerino eine klare Meinung: "Momentan hoffe ich, dass Argentinien gewinnt. Mir gefällt ihre Spielweise und wie sie sich auf dem Platz positionieren. Auch, wenn Frankreich als Weltmeister absoluter Favorit ist. Deren Kader ist breiter aufgestellt als jeder andere. Sie könnten auch drei Mannschaften stellen", sagt der ehemalige Rossoneri und lacht.

Auch für die beiden Außenseiter findet er lobende Worte: "Marokko ist zweifellos eine Überraschung", so Nocerino. "Sie sind eine gut organisierte und physische starke Mannschaft. Wenn ich Einzelspieler herauspicken müsste, wären das Hakim Ziyech oder Sofyan Amrabat. Amrabat spielt unglaublich. Ohne ihre Nummer 8 (Azzedine Ounahi; Anm. d. Red.) außer Acht zu lassen, Amrabat sticht aus dem Kollektiv heraus. Meiner Meinung nach ist das Halbfinale hochverdient: Sie spielen gut nach vorn und sie verteidigen gut. Und sie haben einen tollen Teamgeist."

Und Kroatien? "Kroatien erstaunt mich nicht. Sie sind stark, das haben sie bereits bei den vergangenen Turnieren bewiesen. Meiner Meinung nach verfügen sie über eine der stärksten Mittelfeldreihen bei dieser WM. Brozović, Modrić, Kovačić: Kroatien spielt sehr solide." Auch die Leistungen seiner Wahlheimat USA würdigt der ehemalige MLS-Profi (Orlando City):

"Die Vereinigten Staaten sind stärker geworden. Genauso wie Kanada. Die US-Amerikaner haben mich mit ihrer Spielweise beeindruckt. Die neue US-Generation ist sehr stark. In vier Jahren werden die USA, Kanada und Mexiko ein großartiges Turnier erleben, bei der Weltmeisterschaft in Nordamerika. Da bin ich mir sicher."

Neapel als Jugendliebe

Als gebürtiger Neapolitaner feuert der ehemalige italienische Nationalspieler fast selbstverständlich Argentinien an - auch im Namen von Diego Armando Maradona, dem letzten Kapitän der Albiceleste, der den Pokal in den Himmel reckte. Maradona, der in Neapel für immer verehrt werden wird. Für die SSC Napoli könnte es ein großes Jahr werden - vielleicht jenes, in dem man nicht nur in der Serie A, sondern auch international zu Ruhm und Ehre zurückkehrt:

"Ich wünsche Napoli den Sieg in der Meisterschaft. Sie spielen ausgezeichnet. Sie haben einen tollen Trainer und tolle Spieler. Dafür, was sie bisher gezeigt haben, haben sie es mehr als jeder andere verdient", so der Italiener, auch noch hinzufügend: "Sie spielen und sie gewinnen. Das zeigt, dass das Niveau in der Mannschaft gestiegen ist. Sie sind sich jetzt ihrer Fähigkeiten bewusst und haben gegen Liverpool bewiesen, dass sie mit wirklich jedem mithalten können."

Nocerino hatte selbst nie das Glück, für seinen Heimatverein auflaufen zu dürfen. Zu den seinen Lebensweg maßgeblich mitgestalteten Erfahrungen gehören die Engagements bei US Palermo, dem AC Mailand sowie den Auslandsstationen West Ham und Orlando. "West Ham war prägend für mich. Das hat mich wachsen und meinen Geist geöffnet. Ich wusste, es würde mir bei allen zukünftigen Aufgaben sehr weiterhelfen. Der englische Fußball ist ein einziges Spektakel. Die Intensität ist enorm hoch und die Atmosphäre in den Stadien atemberaubend. Eine solche Erfahrung sollte jeder einmal gemacht haben."

Kontinuität fand er - nachdem ihn Juve an insgesamt sechs verschiedene Vereine verliehen hatte - erstmalig in Palermo: "Davor hatte ich nie drei Jahre hintereinander für dieselbe Mannschaft gespielt." Seine Auftritte im Trikot der Sizilianer öffneten ihm schließlich die Türen für den nächsten Topverein. Nocerino unterschrieb einen Vertrag in Mailand.

Sein Herz aber blieb im Süden des Landes: "Dort hatte ich eine tolle Zeit: menschlich, fußballerisch, als Teil einer verschworenen Gruppe. Auch im San Siro lief alles bestens. Ich habe über viele Spielzeiten hinweg auf hohem Niveau gespielt und gegen richtig verrückte Weltklasse-Spieler gespielt. Ibrahimović und Kaká, um nur zwei zu nennen. Das war eine großartige Mannschaft. Trotzdem muss ich Palermo sagen - weil es mir viel bedeutet hat, zum ersten Mal drei Jahre hintereinander bei einem Verein geblieben zu sein."

Palermo nimmt in Nocerinos Herz noch heute einen besonderen Platz ein
Palermo nimmt in Nocerinos Herz noch heute einen besonderen Platz einProfimedia

In seinen drei Jahren bei den "Rosanero" belegte er unter anderem den fünften Platz in der Meisterschaft, erreichte am letzten Spieltag die Champions-League-Qualifikation und stand 2010 im Finale der Coppa Italia. Dieses war mir 1:3 gegen Inter verloren gegangen. Über die Stiefelgrenzen hinaus einen Namen machte sich Nocerino aber erst in der Lombardei. In zweieinhalb Jahren kam er auf 72 Pflichtspieleinsätze und erzielte zwölf Tore.

Eines davon blieb unauslöschlich in seinem Gedächtnis haften. In der Champions League, im Camp Nou, gegen den FC Barcelona: die Vorlage kam von Ibra höchstpersönlich, dann ein Diagonallauf, dann lag der Ball im Netz: "Ein Tor in Barcelona zu schießen - das passiert nicht jeden Tag. Es war ein einzigartiges Gefühl. Wunderschön. So etwas trägt man, wie alle schönen Dinge, immer in sich."

Nocerino (rechts) im Duell mit Leo Messi
Nocerino (rechts) im Duell mit Leo MessiProfimedia

Es war ein sehr offensiv ausgerichtetes Milan, in dem Nocerino zugegen war. Obwohl Nocerino anderes gewohnt war, die Spielweise der Mannschaft kam Nocerino entgegen: "Milan spielte tief in der gegnerischen Spielfeldhälfte. Palermo hatte den Schwerpunkt tief in die eigene Hälfte verlegt. In Milan kam es zu anderen Torchancen. Aber die Bewegungen, die Läufe zum richtigen Zeitpunkt: das war ich gewohnt. Und mit den vielen Toren - vieles hängt von der Absicht und der Qualität deiner Mannschaft und Mitspieler ab. Je höher die Qualität, umso einfacher ist es, Tore zu schießen", erklärte der heutige Jugendtrainer.

Nocerino möchte Profitrainer werden

Seinen Spieler bei der Primavera von Potenza Calcio versucht er, die gleiche Siegermentalität einzuimpfen, die ihn auf dem Platz ausgezeichnet hatte. Nocerino möchte sich beruflich weiterentwickeln. Seit Juli ist er bei Potenza aktiv, die UEFA Pro-Lizenz ist das große Ziel: "Der Kurs dort ist eine schöne Erfahrung. Ich hatte Gelegenheit, mich mit Rafa Benítez, Massimiliano Alvini (aktuell Trainer bei US Cremonese; Anm. d. Red), Spalletti und Marcelo Bielsa zu unterhalten. Mich mit ihnen zu vergleichen, hilft mir, mich weiterzuentwickeln. Wir reden viel, tauschen Ideen aus - und sie machen einem bewusst, wie man eine Gruppe anführt."

Als Trainer versucht er, sein aus der langen Spielerkarriere und dem Gesprächsaustausch mit erfahrenen Kollegen erarbeitetes Wissen den jungen Spielern zur Verfügung zu stellen: "Mein Ehrgeiz ist groß. Vorläufig will ich aber ausschließlich neue Dinge lernen, kontinuierlich wachsen und mich laufend verbessern. Der Trainerjob gefällt mir wirklich gut."

"Ich möchte ein Trainer sein, der auch im Training auf dem Platz steht. Nicht bloß die Rolle des Managers einnehmen", verrät der ehemalige Mittelfeldstratege. "Meine Idealvorstellung eines Fußballspielers - offensiv ausgerichteten und technisch gut ausgebildet. Obwohl ich immer versuche, das Trainingsmodul an jene Spieler anzupassen, die mir aktuell zur Verfügung stehen."

Ob die Spieler von heute anders sind, als die jungen Leute vor 20 Jahren? "Sie verfügen über ein anderes Vorwissen. Auch der Konkurrenzkampf ist größer. Früher gab es mehr athletische Spieler. Da gibt es jetzt weniger. Davon abgesehen bringen sie deutlich weniger Hintergrundwissen mit. Die Kinder ziehen es vor, zu Hause zu bleiben und vor dem Computer zu sitzen, anstatt einfach hinauszugehen und zu spielen. So wie wir es damals als Kinder und Teenager getan haben. Wenn sie als 18-Jährige zu dir kommen, muss man ihnen viel Neues beibringen. Aber es gibt auch Ausnahmen."

Eine Entwicklung, die vermutlich den Fußball in ganz Italien prägt. Weshalb laut Nocerino von den Trainern eine neue Einstellung gefragt ist, um den Fußball im Land wieder wachsen zu lassen: "Das Problem ist, nicht alle haben den Mut, ihnen Zeit zu geben und sie erst lange einzutrainieren. Doch der Coach muss sich in die Lage des Spielers versetzen und an dessen langfristige Entwicklung denken. Gerade Jugendtrainer denken oft an ihr eigenes Weiterkommen, nicht an jenes der jungen Männer. Für mich steht aktuell die Entwicklung der Spieler im Vordergrund. Ich will ihnen helfen, ihr Debüt in der ersten Mannschaft zu geben. Das ist das große Ziel."

Ein Mut, der bei den jungen Spielern selbst oft nicht vorhanden ist: "Primär möchte ich sehen, dass sie auf dem Spielfeld Verantwortung übernehmen und nach Lösungen suchen. Heutzutage wird man viel weniger Spieler finden, die häufig ins Dribbling gehen. Selbst unter den älteren Spielern. In der Jugend verlangen wir Trainer alle von ihnen, dass sie zwei oder drei Berührungen machen, dann den Ball weitergeben. Aber wenn es eine Eins-gegen-Eins-Situation an der Außenlinie gibt, bitte ich sie, zu versuchen, den Gegner zu überwinden. Das wünsche ich mir, denn - wenn sie jetzt nichts riskieren, wann dann?"