Andrea Pirlo: “Unter Spalletti kann Neapel die Champions League gewinnen”

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Andrea Pirlo: “Unter Spalletti kann Neapel die Champions League gewinnen”
Andrea Pirlo: “Unter Spalletti kann Neapel die Champions League gewinnen”
Andrea Pirlo: “Unter Spalletti kann Neapel die Champions League gewinnen”Profimedia
Stratege, Regisseur, „Maestro“. All diese Worte beschreiben Andrea Pirlo und seinen fußballerischen Stil, doch in Gänze einfangen können sie sein Genie nicht. In seinem Heimatland gilt er als prägende Figur der 2010er-Jahre. Der Weltmeister von 2006 traf sich in seinem Urlaub in den USA mit unseren italienischen Kollegen von diretta.it und sprach dabei über die beginnende Weltmeisterschaft, die zweite in Folge ohne Beteiligung Italiens. Außerdem hat er einen überraschenden Tipp für den Ausgang der Champions League-Saison.

16 Jahre ist es her, dass Italien in Berlin den WM-Pokal in die Höhe streckte. Fabio Grossos Schuss im Halbfinale gegen die DFB-Elf, der fliegende Materazzi nach dem Kopfstoß von Zinedine Zidane im Endspiel. Große Erinnerungen, doch einige Jahre später sieht die Realität ganz anders aus: 2006 überstand Italien zuletzt bei einer Weltmeisterschaft die Gruppenphase, 2018 und 2022 waren sie gar nicht erst für die Endrunde qualifiziert. Das diesjährige Aus in der Qualifikation gegen Nordmazedonien war ein Schock – natürlich auch für Andrea Pirlo, der die Trophäe in Deutschland selbst hochrecken durfte.

Andrea Pirlo bei den Feierlichkeiten zum WM-Titel 2006.
Andrea Pirlo bei den Feierlichkeiten zum WM-Titel 2006.Profimedia

Nach der von Erfolgen gepflasterten Spielerkarriere (eine Weltmeisterschaft, zwei Champions League-Titel, zwei europäische Supercups, sechs italienische Meisterschaften, zwei italienische Pokale, drei italienische Supercups) hat der heute 43-Jährige vor einigen Jahren beschlossen, sein Wissen mit der nächsten Generation zu teilen. Auf seiner ersten Trainerstation im Profibereich stand er direkt beim italienischen Branchenprimus Juventus Turin an der Linie, doch den hohen Erwartungen konnte er trotz zwei Titeln (Coppa Italia und Supercoppa) nie ganz genügen. Platz vier in der Liga war für Andrea Agnelli und die Juventus-Führung genug, sich bereits nach einer Saison von der Vereinsikone zu trennen. Angesichts der kontinuierlichen Probleme der „Alten Dame“ auch nach Pirlos Abgang erscheint seine Amtszeit in Turin im Nachhinein in einem anderen Licht, doch für Pirlo hielt diese Enttäuschung auch eine neue Chance bereit.

Zur Überraschung vieler heuerte er zu Beginn der neuen Saison bei Fatih Karagümrük an, dem Tabellenachten der vergangenen Saison in der türkischen Süper Lig. Nach einer kräftezehrenden Hinrunde nutzte Pirlo die Gelegenheit, um einen Kurzurlaub in den USA zu verbringen. In dem Land, in dem er seine Fußballerkarriere beendete.

Andrea Pirlo auf der Trainerbank des türkischen Erstligisten Fatih Karagümrük.
Andrea Pirlo auf der Trainerbank des türkischen Erstligisten Fatih Karagümrük.Profimedia

Die zweite Weltmeisterschaft ohne Italien. Hätten Sie das erwartet?

Es ist unglaublich. Es war undenkbar, sich zwei Weltmeisterschaften in Folge ohne Italien vorzustellen. Und doch ist es so, obwohl, um ehrlich zu sein, die größte Enttäuschung vor fünf Jahren gegen Schweden stattgefunden hat.

Erklären Sie uns, warum?

Weil sich Italien vor acht Jahren immer vorher qualifiziert hatte. Es war noch nie vorgekommen, dass Italien nicht bei einer WM dabei war.

Und wie ist es dieses Mal?

Wenn man sich in der Gruppe nicht qualifiziert und im Play-off gegen Portugal spielen muss, wird es schwierig. Wenn man dann bereits an Mazedonien scheitert, reicht es einfach nicht. In der Gruppenphase der Qualifikation wurden viele Punkte verschenkt: Wir haben in Irland Unentschieden gespielt und dann gegen die Schweiz in der 90. Minute den entscheidenden Elfmeter verschossen.

Wie erklären Sie sich die Nicht-Qualifikation in diesem Jahr?

Wir hatten alle Karten in der Hand, um uns zu qualifizieren, aber vielleicht hat uns die erfolgreiche EM unbewusst beeinflusst. Nachdem man eine Trophäe wie die Europameisterschaft gewonnen hat, denkt man, dass die Qualifikation einfach ist, aber die Realität war anders.

Was sagen Sie zu dieser Winter-Weltmeisterschaft?

Es ist ein bisschen seltsam, zu dieser Jahreszeit eine WM zu haben. Noch interessanter finde ich aber zu sehen, wie die Zeit nach der Weltmeisterschaft wird. Ich bin sehr gespannt, wie es den Spielern nach dieser Belastung gehen wird.

Körperlich oder mental?

Mental. Ich bin gespannt, wie sie wieder in die Liga-Saison kommen. Sowohl diejenigen, die mit einem Erfolgserlebnis aus dem Turnier gehen als auch diejenigen, die mit leeren Händen zurückkehren.

Wird die Motivation also den Unterschied machen?

Ich denke schon. Die Weltmeisterschaft endet im Dezember. Die erfolgreichen Spieler werden auf einer Wolke schweben und folglich besteht die Gefahr, dass Sie sich zurücklehnen, loslassen. Kurz gesagt, dass Sie mental erschöpft sind. Im umgekehrten Fall gilt das Gleiche: Die Spieler fühlen sich schlecht und riskieren einen Rückschlag. Ähnlich verhält es sich bei denjenigen, die die WM aufgrund einer Verletzung verpassen wie zum Beispiel Mané und Benzema. Die Weltmeisterschaft zu spielen ist der Traum eines jeden Spielers. Wenn man so nah dran ist und dann absagen muss, riskiert man einen psychologischen Rückschlag. In jedem Fall ist es sehr spannend, wie sich solch ein Turnier mitten in der Saison auswirkt.

Sie haben Mané und Benzema erwähnt. Sie sind nur zwei von vielen Spielern, die aufgrund von Verletzungen auf die Weltmeisterschaft verzichten mussten. Auch in dieser Hinsicht eine untypische Weltmeisterschaft. Was denken Sie darüber?

Ich denke, dass sie keine Zeit hatten, sich zu erholen. Sie hatten nur eine Woche Zeit, um sich vorzubereiten. Bei einer Weltmeisterschaft im Sommer hat man für das gleiche Programm zwei Wochen oder einen Monat Zeit. Wenn man eine Woche nach Beendigung der Liga spielt, ist es komplizierter.

Andrea Pirlo in der Weltmeistermannschaft von 2006.
Andrea Pirlo in der Weltmeistermannschaft von 2006.Profimedia

Viele erwarten eine ganz enge Weltmeisterschaft. Messi, Ronaldo, vielleicht sogar Neymar. Wer wird als Sieger hervorgehen?

Ich sehe Brasilien als Favoriten.

Warum?

Sie sind die bestbesetzte Mannschaft, in allen Bereichen. Sie haben Erfahrung und sind es gewohnt zu gewinnen. Sie sind einfach bereit für diese Aufgabe. In den letzten Jahren haben sie viele Spiele gemacht und haben es geschafft, in diesen Partien eine Mannschaft einzuspielen. Die vielen Top-Stars haben sich auch als Team gefunden.

Und die anderen?

Argentinien ist stark, aber wie ich schon sagte, scheint Brasilien kompletter zu sein. Spanien spielt ebenfalls gut, aber es ist eine junge Mannschaft. Portugal ist eine gute Mannschaft, Deutschland ist eine große Unbekannte. Dann gibt es Frankreich, bei denen es nicht klar ist, wie sich die vielen Verletzungen auswirken werden. Allerdings haben sie so viele gute Spieler in ihrem Team, dass sie trotzdem die beherrschende Mannschaft des Turniers sein könnten.

Die vier Halbfinalisten?

Argentinien, Brasilien, Spanien und England oder Portugal, aber vielleicht gibt es auch ein paar Überraschungen.

Viele sprachen vor dem Turnier von Serbien als der Überraschung dieser Weltmeisterschaft, was denken Sie?

Ich bin nicht sicher, ob sie weit kommen werden. Sie haben eine Mannschaft mit jungen, aber bereits erfahrenen Spielern. Sie sind nicht schlecht, aber ich denke, für die letzten K.O.-Runden reicht es nicht. Auch die USA können eine gute Weltmeisterschaft spielen. Eine neue Heldentat von Kroatien würde ich ausschließen. Sie haben das Ende ihres Zyklus erreicht, ebenso wie Belgien.

Sie haben Ihre Trainerkarriere erst vor wenigen Jahren begonnen, aber Sie haben bei Juventus schon einige große Spieler trainiert: Dybala und Ronaldo, um nur zwei zu nennen. Wie führen Sie eine Umkleidekabine mit so vielen Stars?

Ich denke, es ist wichtig, das richtige Gleichgewicht zu finden. Sie müssen Empathie zeigen.

Andrea Pirlo mit Cristiano Ronaldo.
Andrea Pirlo mit Cristiano Ronaldo.Profimedia

Wie gut haben Sie sich mit Ronaldo verstanden?

Sehr gut. Er ist ein besonderer Charakter, ein echter Profi.

Was ist mit dem Interview, das er vor einigen Wochen gegen Manchester United und seinen Trainer gegeben hat? Was denken Sie darüber?

Meiner Meinung nach wollte er dieses Interview schon lange machen. Ich denke, es war bereits vorbereitet.

Glauben Sie nicht, dass die Tatsache, dass er es vor der Weltmeisterschaft getan hat, den Druck auf Portugal erhöht hat?

Ronaldo hat immer Druck gehabt und wird ihn immer haben. Er kann damit umgehen. Ich glaube nicht, dass seine Aussagen die portugiesische Umkleidekabine beeinflusst haben. Hätte er das Interview nicht gegeben, hätte man ihm während der WM trotzdem Fragen zu Manchester gestellt. Er hat sich entschieden, allen einen Schritt voraus zu sein.

Wo sehen Sie sich in vier Jahren?

Hier. (lacht)

Im Jahr 2026 wird die Weltmeisterschaft von Mexiko, Kanada und den USA ausgerichtet. Wären Sie gerne hier, um eine Nationalmannschaft zu trainieren?

In erster Linie möchte ich mich mit meinem Verein gut entwickeln. Vielleicht ergibt sich später die Chance, die Nationalmannschaft zu trainieren. Das wäre eine gute Sache.

Die italienische Nationalmannschaft?

Jede beliebige Nationalmannschaft. Es wäre schön, als Trainer an der Weltmeisterschaft teilzunehmen.

Können Sie sich auch ihren alten Weggefährten Carlo Ancelotti als Nationaltrainer vorstellen?

Ich kann ihn mir gut vorstellen. Er kann jede Nationalmannschaft trainieren, das könnte seine Karriere abrunden.

Ist er Ihr Vorbild?

Ja, zweifellos, er ist ein Vorbild, als Trainer lasse ich mich von ihm inspirieren. Er ist ein sehr guter Mensch und ein sehr guter Trainer. Er hat alles gewonnen, was es zu gewinnen gab.

In der letzten Saison hat er in der Champions League Großes erreicht. Was ist so besonders an ihm?

Er kann mit den Spielern ein Vertrauensverhältnis aufbauen, dadurch spielen sie dann auch für ihn. Was er in der Champions League erreicht hat, war unglaublich.

Abschließend kommen wir noch kurz zur Champions League: Wie geht es in diesem Jahr weiter? Wer wird den Henkelpott gewinnen?

Ich würde sagen City, eventuell auch Neapel.

Kann Neapel in einem so schwierigen Wettbewerb wie der Champions League wirklich bis zum Ende durchhalten?

Neapel spielt sehr gut und kann es schaffen. Wenn alle fit bleiben und sie in ein paar Monaten immer noch auf demselben Niveau sind, das sie bisher gezeigt haben, wird es für die anderen Mannschaften schwierig, sie zu schlagen.

Warum ist Neapel unter Trainer Luciano Spalletti so stark?

Ich vergleiche sie mit unserem AC Mailand. Wir hatten viele offensive Spieler, die unterhaltsamen Fußball zeigten. Maurizio Sarris Napoli war auch schön anzusehen, aber dieses ist gemeiner. Sie spielen es "furchterregend". Mit Mertens, Insigne und Koulibaly sind die großen Spieler des Vereins gegangen und junge Spieler sind gekommen. Sie sind alle auf dem gleichen Niveau und verdienen es, zu spielen. Alles funktioniert und das ist dem Trainer zu verdanken. Spalletti hat hervorragende Arbeit geleistet".