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Sammer lobt BVB-Trainer Kovac und kritisiert Entwicklung des deutschen Fußballs

Matthias Sammer
Matthias SammerMickael Chavet / Zuma Press / Profimedia
Berater Matthias Sammer ist voll des Lobes für Niko Kovac und hofft auf einen langfristigen Verbleib des Trainers beim Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund. Die grundsätzliche Entwicklung des deutschen Fußballs hat der ehemalige DFB-Spieler unterdessen scharf kritisiert.

Kovac ist "klug und von Fachwissen gekennzeichnet"

"Was Niko macht, ist klug und von Fachwissen gekennzeichnet. Er mag in Deutschland als konservativer Trainer gelten, ist aber sehr fortschrittlich", erklärte Sammer im Interview mit dem "kicker".

Sport-Geschäftsführer Lars Ricken habe "intern frühzeitig klar gesagt, er wolle einen Trainer wie Niko Kovac zumindest mittelfristig binden", sagte Sammer: "Was ich jetzt wahrnehme, kann daraus durchaus eine langfristige Lösung werden."

Borussia Dortmunds Cheftrainer Niko Kovac
Borussia Dortmunds Cheftrainer Niko KovacWILLIAM VOLCOV / BRAZIL PHOTO PRESS / Brazil Photo Press via AFP

Kovac besitzt in Dortmund einen Vertrag bis 2026. Der 53-Jährige hatte den strauchelnden BVB im Januar übernommen und mit einer Aufholjagd in der Saisonendphase noch auf den vierten Platz der Bundesliga und damit in die Champions League geführt.

Hoher Ehrgeiz passt zum BVB

Kovac sehe sich "als Teil des Vereins und dieser Mannschaft", betonte Sammer. "Nach Platz vier sagte er: Es ist wunderbar, die Champions League erreicht zu haben, doch es gibt keinen Grund zu feiern, wir sind nur Vierter geworden, das ist nicht der Maßstab des BVB. Ich bin froh, dass der BVB diesen Trainer hat", erklärte der 57-Jährige, der sportlich wie menschlich von Kovac überzeugt ist.

Dieser sei in Dortmund analytisch vorgegangen, habe "die körperliche und geistige Verfassung der Mannschaft verbessert und darauf geachtet, dass die Zahl der Gegentore geringer wurde und in der Offensive mit Laufwegen, höherer Flexibilität und Individualität mehr Tore erzielt wurden", führte Sammer aus.

Der "wichtigste Aspekt" sei jedoch, dass er "die Spieler stabilisiert", ihnen "Selbstvertrauen gegeben" und sie "einbezogen" habe.

Kovac wisse, "dass die vergangene Saison ein permanenter Ausnahmezustand" gewesen sei und er "die richtigen Hebel bedient" habe, sagte Sammer: "Genauso habe ich ihm gesagt, dass spätestens zu Beginn der neuen Saison für ihn wie für den gesamten Verein die Uhren wieder auf null gestellt sind."

"Wofür steht der deutsche Fußball eigentlich?"

Angesprochen auf das Viertelfinal-Aus deutscher Klubs in den europäischen Wettbewerben und der Klub-WM sowie der deutschen Nationalmannschaft bei der Heim-EM 2024 antwortete Sammer, dass diese Bilanz "in Ordnung" sei: "Aber wir sollten auf der Grundlage unserer Ansprüche schon noch umfassend sachlich-kritisch analysieren und hinterfragen, warum es nicht weiter ging."

Für Sammer ist einer der Gründe, dass der deutsche Fußball "seine grundsätzliche Identität und damit wesentliche Stärken verloren" habe. Sicherlich seien Veränderungen und Innovationen notwendig gewesen, diesen Aspekten sei jedoch in der Wahrnehmung und Argumentation "ein höherer Stellenwert zuerkannt als den traditionellen Stärken", sagte der 57-Jährige.

"Diese wurden fälschlicherweise als Rumpelfußball, Fußball von gestern oder oldschool abgetan. Die Balance zwischen Innovation und Tradition, um unsere Identität zu bewahren, ist uns nicht geglückt", sagte Sammer: "Bewusst provokativ stelle ich mir, wenn ich den deutschen Fußball gerade sehe, die Frage: Wofür steht der deutsche Fußball heute eigentlich? Ich kann es nicht erkennen."

Sammer plädierte zudem dafür, bei Beurteilungen zu "differenzieren und kritisch-konstruktiv" zu diskutieren. Ergebnisse dürften nicht künstlich beschönigt werden: "Im Schönreden sind wir noch immer stärker als in der kritischen Analyse." Der deutsche Fußball müsse "wieder lernen, Durchschnitt nicht als Weltklasse zu verkaufen", erklärte Sammer.