Basketball: Akeem Vargas – Student wider Willen

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Basketball: Akeem Vargas – Student wider Willen
Akeem Vargas gibt in Heidelberg den Ton an.
Akeem Vargas gibt in Heidelberg den Ton an.Profimedia
Ein Studium kam für Akeem Vargas früher nicht infrage. Von der Hauptschule kämpfte er sich in die Basketball-Bundesliga und bis in die Nationalmannschaft. Doch ein abendlicher Plausch auf der Physioliege änderte seine Karriereplanung. Neben 357 BBL-Spielen hat der 32-Jährige mittlerweile seinen Master absolviert. Ein Gespräch über Basketball, Bildung und fehlende Beratung im Profisport.

Akeem, wann war dir klar, dass du als Profispieler auch deine Karriere nach dem Sport vorbereiten musst? 

Aus sozial schwachen Verhältnissen kommend, war mein erster Gedanken eher: Wie kann ich mit Basketball Geld verdienen? Das war das Feuer in mir, meine Situation zu verbessern. In meiner Zeit an der Urspringschule (Anm.: renommiertes deutsches Basketballinternat) gab es immer wieder Gespräche mit meinen Trainern, etwas nebenbei zu machen. Das war schon in meinem Kopf, aber noch nicht so stark verankert. Auch das Kapitel USA würde ich ehrlicherweise nicht als College-Erfahrung sehen. Das Akademische kam erst zu meiner Zeit bei ALBA BERLIN.  

Gab es einen Schlüsselmoment? 

Ich sprach viel mit unserem damaligen Physiotherapeuten Jörg Blüthmann. In meiner Jugend habe ich so gut wie nie Bücher gelesen, hatte dann aber das Bedürfnis das aufgrund unserer vielen Reisen mit ALBA nachzuholen. Als ich bei Jörg abends auf der Bank lag, fragte er mich: Warum liest du denn immer so viele Romane und nie Sachbücher? Du könntest doch mal studieren. Meine erste Reaktion: Ich habe 13 Jahre Schule hinter mir und wollte nie studieren. Doch Jörg hatte ein sehr gutes Gefühl dafür, wie er mich kitzeln kann. Es gäbe ja nicht so viele Spieler, die etwas parallel machen, dann sei ich halt einer von vielen.

Kurz darauf erwischte ich mich, wie ich am Laptop nach Studiengängen suchte. Ich hielt Rücksprache mit meinem Agenten und ging dann auf Marco Baldi und Mithat Demirel zu. Es war ein glücklicher Zufall, dass ALBA kurz zuvor eine Kooperation mit der BiTS-Hochschule gestartet hatte, die heute University of Europe for Applied Sciences heißt.

Hier in Berlin konnte ich sogar in Präsenz studieren. Das war wirklich ein Zeichen von oben. Ich lernte meinen späteren Studiengangleiter, Prof. Dr. Chatrath, kennen. Er war ebenfalls Feuer und Flamme für die Idee, einen aktiven Spieler von ALBA im Klassenzimmer voranzubringen. Im Nullkommanichts war ich Student und Basketballprofi. 

Du hast mittlerweile noch einen Master draufgepackt. 

Meinen Bachelor habe ich in der Regelstudienzeit in Berlin durchgezogen. Dann wechselte ich nach Frankfurt. Ich nahm Kontakt mit der EuroLeague auf, die einen Master-Studiengang anbietet. Die waren zu dem Zeitpunkt jedoch nicht begeistert, weil vier Seminare vor Ort verpflichtend waren und das während der Saison für mich nicht möglich war. Ich musste das Thema erstmal ad acta legen und lernte Spanisch, um mir neuen Input zu holen.

Und dann erlebte ich einen der positivsten Corona-Effekte in meiner akademischen Laufbahn (lacht). Die EuroLeague war gezwungen, alles auf online umzustellen. Ich konnte das Studium doch anfangen und darf mich seit vier Wochen Master of Business Administration nennen. Ich freue mich, dass meine akademische Laufbahn ein Ende gefunden hat. Das reicht für einen Jungen, der eigentlich nie studieren wollte.  

Wie viele andere deutsche Basketballer sind denn neben ihrer Profikarriere eingeschrieben? 

Das kommt immer auf die Konstellation an. In Berlin war es für mich eine komfortable Situation, weil die Uni genau zwischen Kreuzberg und Mitte liegt. Mit dem Fahrrad waren das zehn Minuten. Dass 2018 mit Tim Schneider ein weiterer ALBA-Spieler in meine Fußstapfen trat und mittlerweile seinen Bachelor geschafft hat, ist toll.

In meinen 13 Bundesliga-Jahren gab es einige Jungs, die oft über einen längeren Zeitraum studiert haben – Jannik Freese oder Per Günther. In meinem aktuellen Team studiert Max Ugrai. Leider wird vielen Jungs eingetrichtert, sie sollen sich nur auf Basketball konzentrieren und es erstmal in die Bundesliga schaffen. Eigentlich geht keiner so richtig ran und sagt: Lass uns doch die Zeit nutzen, die du spielst, und ein zweites Standbein vorbereiten: eine akademische Laufbahn oder eine Ausbildung.  

Woran liegt das? 

Ich glaube, da gibt es noch einen Graben zwischen Spielern, Agenten und Vereinen. Die Vereine haben das Interesse, dass sich der Spieler nur auf Basketball konzentriert. Der Agent möchte, dass der Spieler gut performt, damit er ihn weiter vermarkten kann. Der Spieler bleibt oft auf der Strecke, es sei denn, er hat einen intrinsischen Antrieb. Ähnlich wie im Fußball sollten Spieler-Agenten mehr zu Spieler-Beratern werden. Außerdem sollten die Vereine den Spielern die Tür zu ihrem Sponsorennetzwerk mehr öffnen.  

Wäre auch die Liga gefordert, junge Spieler besser zu beraten? 

Das wäre ein sehr spannender Ansatz. Ich glaube, dass die BBL derzeit genug damit zu tun hat, den Ligabetrieb hinzubekommen. Das meine ich gar nicht despektierlich. Vielleicht braucht es externe Dienstleister, um in den Vereinen Workshops anzubieten. Wie geht man mit Geld um, wie solltet ihr es investieren, wie müsst ihr euch versichern? Als Vision wäre es natürlich absolut wünschenswert, wenn die BBL eines Tages verpflichtende Workshops für alle jungen Spieler hat. Das muss auch gar nicht auf die Deutschen begrenzt sein, sondern könnte auch internationalen Spielern offenstehen.  

Wie hast du selbst dein Geld angelegt? 

Meine erste Investition war ganz klassisch, deutsch, gutbürgerlich: eine Immobilie, die ich auch schon abbezahlt habe. Mittlerweile sind zwei weitere Wohnungen dazugekommen sowie ein Aktiendepot. Einen kleinen Teil habe ich in den Kryptomarkt gesteckt. Das wichtigste Investment ist aber das Investment in dich selbst. Jeder Euro, den du in deine Bildung und deine Zukunft investierst, ist gut investiert. 

Gab es noch Alternativen? 

Der Startup-Trend wird immer größer und größer. Niels Giffey engagiert sich beispielsweise bei einem Sport-Startup. Ich sehe mich aber weniger im Entrepreneur-Bereich. 

Akeem Vargas im Duell mit Danny Green von den San Antonio Spurs
Akeem Vargas im Duell mit Danny Green von den San Antonio SpursProfimedia

Könntest du dir nach deiner Spielerkarriere vorstellen, andere Sportler zu beraten? 

Es gab schon die eine oder andere Anfrage sowohl aus dem privaten Sektor als auch von Dienstleistungsunternehmen. Ich kann mir das sehr gut vorstellen, wobei es mir auch darum geht, etwas zurückzugeben. Ich würde das machen, wenn ich das Gefühl habe, dass Leute, die benachteiligt sind, dadurch einen Vorteil haben. Wenn ich meine eigene Geschichte angucke: In der komfortablen Situation, in der ich heute bin, wäre ich niemals, wenn ich nicht Menschen auf dem Weg getroffen hätte, die für mich einstanden.

Reiner Braun (Anm.: Leistungssportdirektor in Baden-Württemberg) nahm mich in seine Auswahl, als ich noch nicht mal die Basketballregeln kannte. Ralph Junge holte mich nach Urspring, obwohl es bis dahin dort ausschließlich Gymnasiasten gab. Ich besuchte aber eine Hauptschule. Als ich dann Profi war, saß mir Marco Baldi gegenüber und sagte: Ich finde das richtig cool, dass du studieren willst. Dass er das bei einem Verein wie ALBA möglich machte, ist für mich beeindruckend.  

Denkst du schon an dein Karriereende? 

Mit dem Gedanken spiele ich noch nicht. Nach meiner Verletzung bereite ich mich erstmal auf mein Comeback vor. Ich freue mich auf jedes Kapitel, das ich neu schreiben darf. Wenn ich auf den Weg schaue, den Gott mit ermöglicht hat, dann bin ich sehr dankbar. Ich habe noch viel im Tank und möchte auf jeden Fall die Marke von 400 Bundesligaspielen knacken.  

Akeem, vielen Dank für das Gespräch.