Exklusives Interview mit Ex-Inter-Präsident: "Wäre wundervoll, wenn Napoli Meister wird"

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Exklusives Interview mit Ex-Inter-Präsident: "Wäre wundervoll, wenn Napoli Meister wird"
Moratti beim Stemmen der Champions-League-Trophäe 2010
Moratti beim Stemmen der Champions-League-Trophäe 2010Profimedia
Am Sonntag findet um 20:45 Uhr das Mailänder Derby statt. Im direkten Vergleich kämpfen beide Mannschaften darum, sich im Titelkampf eine Chance zu bewahren. Inter und Milan halten bereits bei 13 bzw. 15 Punkten Rückstand auf den Tabellenführer aus Neapel. Vor dem brisanten Duell sprach der ehemalige Inter-Präsident Massimo Moratti exklusiv mit Flashscore Italien. Er äußerte sich ausführlich zu verschiedenen Themen - unter anderem zu den Titelträumen Napolis und den Umbauplänen, das San Siro betreffend.

Wenn Massimo Moratti über Inter Mailand spricht, verwendet er unverändert die erste Person Plural: "Wir". Spricht er hingegen vom schwarz-roten Stadtrivalen, erzeugt er durch seine Wortwahl Distanz. Das Mailänder Derby spielt in den Herzen italienischer Fans eine wichtige Rolle, die Bilder von blau-schwarz gekleideten Stars, die gegen schwarz-rot gekleidete Stars antreten, sind seit vielen Jahrzehnten Synonym für die hohe Brisanz des Duells.

Mit seiner kontinuierlichen und aufopferungsvollen Arbeit wurde Moratti zum Abbild dieser traditionsreichen Rivalität. Wenn er spricht, umgibt ihn stets ein Hauch Nostalgie und Fußballromantik. Doch auch im Alter von 77 Jahren hat der langjährige Inter-Präsident (1995 bis 2013) sein Feuer noch nicht verloren. Moratti ist nicht nur Vereinsikone, sondern auch Zeitzeuge. Schon in den 1960-er Jahren wohnte er als Fan ersten Mailänder Derbys bei.

Der italienische Geschäftsmann trat in die Fußstapfen seines Vaters, Angelo Moratti. Sowohl unternehmerisch als auch als Fußballfunktionär - er übernahm den Mineralölkonzern seines Vaters. Angelo Moratti übernahm 1955 die Geschicke seines Herzensklubs, dementsprechend wuchs sein Sohn mit Stadionbesuchen auf und erlebte auch die erste Hochphase Inters unter Trainer Helenio Herrera hautnah mit. Heute ist er Fan und fachkundiger Beobachter. Die Art und Weise, wie Inter vergangenes Jahr den Scudetto aus der Hand gab, schmerzt, doch er sieht die aktuelle Mannschaft auf einem guten Weg. Im Derby am Sonntag betrachtet er seine Nerazzurri als Favoriten.

Herr Moratti, welche Erinnerungen haben Sie an die frühen Spiele zwischen Inter und AC Milan?

"Ach! Das werden Sie nicht verstehen können. Es gab einen Moment, der zeigt, wie unterschiedlich man sein Team anfeuern kann. Am Ende des Spiels gab es damals eine Beerdigung für die Mannschaft, die verloren hatte. Das war sehr lustig und nett. Daran denke ich." 

Weniger unterhaltsam fanden sie wahrscheinlich die Derbys, in denen Sie Präsident waren? 

"Eigentlich waren diese Spiele immer eine sehr schmerzhafte Angelegenheit. Klar ist, wenn man einem der beiden Vereine vorsitzt, ist der Druck höher. Man möchte keinen schlechten Eindruck auf die Mailänder machen. Also wird vor dem Spiel gelitten, währenddessen und wenn man verliert - auch nachher. Die Gefühle waren damals wie heute dieselben. Vielleicht haben sich bloß die Menschen etwas verändert. Was immer gleich bleiben wird: die Mannschaft, die als Favorit in das Derby geht, gewinnt das Spiel auch."

Ist Inter für das Derby am Sonntag Favorit?

Nach dem Supercup-Derby war die Stimmung bei uns sehr positiv. Weil die Mannschaft gut gespielt hatte, wir entschlossen auf den Platz gegangen sind. Alles in allem sah das nach einer echten Mannschaft aus. Es war für uns ein wichtiges Spiel. Wir haben das hervorragend gemacht. Leider hat diese Leistung ein wenig etwas vorgegaukelt. Danach sind wir in der Meisterschaft wieder in die Normalität abgerutscht."

Diese Normalität, welche ja auf beiden Seiten herrscht, die aus immer wiederkehrenden Mini-Krisen besteht? 

"Wobei Inter mehr Kontinuität an den Tag legt."

Manchmal passiert eine Kleinigkeit, und dann...

"Mag sein. Aber auf mich macht es wirklich den Eindruck, dass wir stärker sind. Zumindest aktuell. Man muss verstehen, in welcher Art Krise Milan aktuell steckt: Ist es nur eine psychologische oder auch eine sportliche Krise? Was wir wissen, ist, dass sie keine einfachen Zeiten durchmachen. Eben deshalb ist das Derby die passende Gelegenheit, viel wieder gutzumachen. Jedoch haben wir den Vorteil, mit einer zuversichtlicheren Einstellung ins Spiel zu gehen."

Hat Simone Inzaghi in der Liga in diesem Jahr überzeugt?

"Er kümmert sich in dieser Saison genauso um die Mannschaft wie in der letzten Saison. Es ist eine Last, dass die Mannschaft die Meisterschaft im vergangenen Jahr nicht geholt hat. Eine Last, die noch zu spüren ist, die uns auch dieses Jahr noch Stabilität nimmt."

Hat Milan in der Vorsaison die Meisterschaft gewonnen? Oder hat Inter die Meisterschaft aus der Hand gegeben?

"Natürlich beides. Sicher, Inter hat den Scudetto weggeworfen. Am Ende hat Milan aber aufgrund der starken Leistungen verdient gewonnen."

In diesem Jahr scheint der Titel weiter in Richtung Süden zu wandern.

"Es wäre wundervoll, wenn Napoli gewinnt. Zum einen, weil es eine große Sache für den Fußball an sich wäre. Zum anderen, weil Napoli dadurch auch außerhalb Italiens als Spitzenverein gelten würde. Hoffentlich geht auch die Reise in Europa weiter (im CL-Achtelfinale trifft der italienische Tabellenführer auf Eintracht Frankfurt, Anm.). Es wäre eine gute Sache, wenn sie Meister werden. In jeder Hinsicht. Nicht nur für den Fußball, auch für die Stadt Neapel wäre es wichtig, wenn sie diesen Erfolge erleben dürfte."

Napoli ist das große Überraschungsteam der Saison 22/23
Napoli ist das große Überraschungsteam der Saison 22/23AFP

Ein Blick in den Piemont: da nehmen die Dinge zurzeit einen schlechten Verlauf. Wie beurteilen sie das Krisenmanagement von Juve?

Darüber spreche ich nicht gerne. Weil es eine sehr düstere und traurige Situation ist. Was da passiert ist - das tut mir leid, weil das kein sehr gutes Bild auf den Fußball wirft. Ich hoffe wirklich, dass Juventus einen würdevollen Weg aus dieser Situation heraus beschreitet."

Es kursieren Gerüchten, nicht nur bei Juve gäbe es geschönte Bilanzen.

"Ein dummer Witz, den ich nicht mag. Ich kann nicht beurteilen, was heute im Fußball hinter den Kulissen los ist. Dafür bin ich zu lange schon nicht mehr dabei. Mich betrifft so etwas jedenfalls nicht."

Zurück zum Derby. Zwischen Ihnen und Ihrem Vater gibt es ein Bindeglied. Peppino Prisco war sowohl in ihrer Zeit als auch in der ihres Vaters Vize-Präsident.

"Er galt bei Inter als personifizierte Kontinuität. Ich erinnere mich gut an ihn. Er war so ein intelligenter und sympathischer Mensch! Geistig befand er sich auf einer einzigartigen Höhe. Ein großer Rechtsanwalt, eine Persönlichkeit mit vielen Verdiensten. Im Krieg wurde er mit einer Goldmedaille ausgezeichnet! Trotzdem verlor er nie den Boden unter den Füßen. Mit seiner freundlichen Art hat er Inter sehr gedient."

Prisco war einer jener Menschen, die sich notfalls an das Eingangstor des San Siros ketten würden.

"Wenn ich mit vielen Menschen spreche, den Fans, die viele Siege und viele Niederlagen erlebt haben, wenn ich an meinen Vater und an mich denke: wird mir klar, dass das San Siro für viele Menschen wie ein Lebenspartner ist. Tut man diesem Stadion etwas an, tut man den Lieben der Fans etwas aus. Betrachte ich die Stadiondebatte weniger emotional, sondern aus logischer und rationaler Sicht, scheint mir, es ist ein Stadion, welches exakt die Bedürfnisse und Anforderungen eines Fans erfüllt. Man will ins Stadion gehen und gute Sicht auf das Spiel haben. Das San Siro ermöglicht das."

Das San Siro - ein Hort der Erinnerung - steht vor dem Abriss
Das San Siro - ein Hort der Erinnerung - steht vor dem AbrissProfimedia

Warum plant Milan, das Stadion abzureißen - während Real Madrid und der FC Barcelona das Bernabeu und Camp Nou lieber renovieren wollen?

"Das weiß ich nicht. Vielleicht trägt dafür auch die Stadt Mitverantwortung. Die Herangehensweise sowohl bei Barça als auch Real ist anders. Dort ist die Beteiligung der Aktionäre von großer Bedeutung. Das fördert es, dass Entscheidung von Experten getroffen werden."

Halten Sie es für möglich, dass sich Inter und Mail eines Tages wieder in den Händen eines Mailänders befinden?

"Nein, das scheint mir unmöglich. Zumindest aktuell. Ich weiß nämlich nicht, welche finanzielle und wirtschaftliche Entwicklung Italien nehmen wird. Für eine italienische Familie ist es schwieriger, einen Fußballverein zu übernehmen, als für ausländische Investoren. Das Risiko, sich zu exponieren und in ein negatives Licht gerückt zu werden, ist beträchtlich."

Bereuen Sie denn etwas?

"Ich habe einen Haufen Fehler gemacht. Aber Präsident von Inter zu sein - das war ein großartiges Gefühl, ein echtes Privileg. Summa summarum empfinde ich meine Zeit als Präsident als eine gute Zeit. Wir haben viele Siege errungen. Für das Image des Vereins war das sehr wichtig."

Gibt es einzelne Fußballspieler, die Sie besonders gerne nach Mailand geholt hätten?

"Etliche. Viele Deals sind ja nicht unseretwegen geplatzt. Zum Beispiel Eric Cantona. Den ich uns gerne geschnappt. Aber er ist uns knapp entwischt. Ich bin überzeugt, dass er uns zu vielen Siegen verholfen hätte."

Mit wem hatten Sie mehr Freude? Ronaldo oder Recoba?

"Das ist eine gute Frage. Beides sind Spieler, die ich enorm schätze. Ronaldo war fußballerisch betrachtet ein Außerirdischer. Auch Recoba war einer der außergewöhnlichsten Spieler, die ich je gesehen habe. Das war jemand, der fünf Minuten vor Schluss das Spiel zu deinen Gunsten entschied. Ich habe sie beide bewundert und beide geliebt."

Dann vielleicht eine noch schwierigere Frage: Mourinho oder Helenio Herrera?

"(lacht, Anm.) Meiner Meinung nach waren das fast identische Charaktere. Ich muss zugeben, Mourinho habe ich genommen, weil ich bei ihm an Herrera dachte. Sie hatten ähnliche Eigenschaften. Sowohl kommunikativ als auch charakterlich. Ein hohes Maß an Entschlossenheit und Professionalität. Das Schöne ist: Sie waren nicht nur gut, sondern auch erfolgreich."

Sagen Sie jetzt nicht, dass sie durch Mourinho auch ein bisschen zum Roma-Fan geworden sind!

"Doch, natürlich, kein Zweifel! Mourinho ist einfach bewundernswert. Von der Niederlage letzte Nacht abgesehen, geht es für Mou und seiner Mannschaft ausgezeichnet. Obwohl es keine einfache Situation ist."