13 Monate lang nahm sich Jess Thorup eine Auszeit vom Profi-Fußball. Als sich Mitte Oktober 2023 der FC Augsburg beim 54-Jährigen meldete, war für ihn klar, dass es wieder Zeit ist, an die Seitenlinie zurückzukehren. Bei den Fuggerstädtern wurde er mit einem Vertrag bis zum Ende der Saison 2024/25 ausgestattet.
Zuvor hatte Augsburg in den ersten sieben Bundesliga-Runden nur einen Sieg gefeiert. Eine peinliche Niederlage gegen Aufsteiger Darmstadt brachte die Vereinsführung zu dem Entschluss, die Zusammenarbeit mit Enrico Maassen zu beenden. Sportchef Marinko Jurendic begab sich auf die Suche nach einem passenden Nachfolger.
Überraschenderweise fiel seine Wahl nicht auf einen alten Bekannten, wie etwa Stefan Kuntz. Stattdessen fand der Schweizer großen Gefallen an Jess Thorup, welcher sich im September 2022 vom FC Kopenhagen verabschiedet hatte und seitdem arbeitslos war.
"Wenn man einen Trainerwechsel vornimmt, dann deshalb, weil einige Dinge nicht funktionieren und man in eine andere Richtung gehen möchte. Es war ein Projekt, in das ich mich eingefunden habe und bei dem ich mir vorstellen konnte, ein Teil davon zu werden. Sowohl in Bezug auf den Kader, die Finanzen, die Entwicklung der Akademie als auch das enorme Potenzial, das im gesamten Verein vorhanden ist", sagt Jess Thorup im Interview mit Flashscore News.
Mehr als nur eine graue Maus
Traditionellerweise haltet der FC Augsburg seit Jahren nur knapp die Klasse. Langfristig möchte man sich aber nach oben orientieren. 2014/15 landete man auf dem fünften Tabellenplatz. Danach blieb man regelmäßig im Mittelfeld der Liga stecken. Thorup wurde nicht als Zauberer, der sofort alles besser macht, verpflichtet - seine oberste Aufgabe war es, seiner Mannschaft neues Selbstvertrauen einzuimpfen, den Verein zu stabilisieren und den Klassenerhalt zu fixieren.
Eine ungewohnte Aufgabe für ihn. Thorup war es gewohnt, Teams zu trainieren, die in ihrer Liga ganz vorne dabei sind. So nahm er etwa mit dem FC Kopenhagen an der Gruppenphase der UEFA Champions League teil. Druck gibt es aber überall, betonte der Augsburger Übungsleiter.
"In Augsburg ist es eine ganz andere Situation für mich als beim FCK. Es ist nicht so, dass der Druck geringer wäre. Eben hatte ich eine lange Pressekonferenz, gefolgt von Interviews mit vier verschiedenen Fernsehsendern. Es gibt keinen Zweifel, der Druck von außen ist da. Aber klar ist, dass Erwartungen, was man gewinnen und erreichen muss, anders sind als in Kopenhagen. Dort ging es um Meisterschaften und die Champions League, hier geht es ums Überleben", so Thorup.
Großes Lob für die deutsche Bundesliga
Besonders angetan habe es ihm die deutsche Fankultur. Die Stadien in der Bundesliga sind häufig ausverkauft, fast hinter jedem Verein versammelt sich eine große, traditionsbewusste Fangemeinde. "Wenn man sich die Fußballkultur in Deutschland ansieht, dann hat der Fußball für jeden Normalbürger einfach eine immense Bedeutung. Die Stadien sind bis zum Rand gefüllt und selbst die 2. Bundesliga hat mehr Zuschauer als die erste französische Liga. Es ist ein großes Fußballland, in dem jeder an Fußball denkt und jeder Fan eines Vereins ist", schwärmte der Däne.
Auch mit Blick auf die spielerische Qualität müsse die Liga keinen Vergleich scheuen: "In der Bundesliga gibt es sehr viel Qualität und viele talentierte Spieler. Das bedeutet, dass die Intensität und das Niveau des Trainings sehr hoch sind. In jedem Spiel spielt man gegen einige der besten Spieler und Vereine in Europa. Hinzu kommt der große Druck von den Tribünen und den Medien, was die Entwicklung der Spieler und der Mannschaften fördert."
Früher standen in Augsburg Tugenden wie großer Kampfgeist und eine kompromisslose Zweikampfführung im Vordergrund. Thorup weiß, dass diese Eigenschaften Teil der Augsburg-DNA bleiben müssen. Dennoch möchte er den FCA auf ein neues Level führen: "Für ein kleineres Team kommt es darauf an, gut organisiert zu sein und kompakt zu stehen. Wir haben in den vergagenen Monaten viel daran gearbeitet, uns auch am Ball zu verbessern und kreative Lösungen für die Spieler, aber auch als Mannschaft zu entwickeln. Denn dort haben wir das größte Entwicklungspotenzial."
Match-Center: VfL Wolfsburg vs. FC Augsburg
Die Sehnsucht nach dem nächsten Schritt
Erste Ergebnisse dieser Weiterentwicklung habe man an den letzten drei Spieltagen gesehen. Man feierte drei Bundesliga-Siege in Folge, (2:1 gegen Freiburg, 6:0 gegen Darmstadt, 1:0 gegen Heidenheim) - innerhalb der Vereinshistorie sind solche Siegesserien die absolute Ausnahme. Man habe "das Spiel kontrolliert und Chancen kreiert - anstatt uns nur zu wehren", bilanzierte Thorup nach dem Heimsieg gegen Heidenheim zufrieden.
Vieles spricht dafür, dass dem Verein eine große Zukunft bevorsteht, in den vergangenen Monaten hat man sich in vielen Bereichen stark verbessert. Als Thorup im Herbst bei den Fuggerstädtern ankam, befand sich der Klub mitten im Abstiegskampf. Mittlerweile liegt man auf Rang neun und schielt mit einem Auge auf die Qualifikation für das europäische Geschäft. Bereits die Teilnahme an der Conference League wäre ein riesiger Erfolg, zuletzt nahm man vor acht Jahren am Europapokal teil.
Am Samstag trifft Augsburg auswärts auf den VfL Wolfsburg (15:30 Uhr). Sollte der FCA dieses Spiel gewinnen, wäre Jess Thorup erst der zweite Trainer nach Markus Weinzierl, der mit den bayerischen Schwaben vier Spiele in Folge gewinnen konnte.
"Unter Thorups Führung ist Augsburg erwachsen geworden", schrieb die Augsburger Allgemeine. Tatsächlich hat das Team unter seiner Führung ein ganz eigenes Gesicht entwickelt. In der Abwehr fand Jeffrey Gouweleeuw zurück zu alter Stärke, auch sein Partner in der Innenverteidigung, Felix Uduokhai, steigert sich von Spiel zu Spiel. Der von Eintracht Frankfurt ausgeliehene Kristijan Jakic ist der Fels in der Brandung und durch seine physische Präsenz eine echte Waffe im defensiven Mittelfeld.
Noch faszinierender ist das Dreigestirn im Angriff. Ruben Vargas wird seit neuestem nicht mehr am Flügel, sondern auf der Zehn aufgestellt. Als Spielmacher ist der Schweizer brillant und der perfekte Zuarbeiter für den extrem formstarken Kapitän Ermedin Demirovic und den immer torgefährlichen Phillip Tietz.
"In den vergangenen Spielzeiten hat der FCA um das Überleben gekämpft", sagte Thorup. Er spürt, was eine gute Positionierung in der Abschlusstabelle für das gesamte Umfeld bedeuteten würde: "Deshalb wage ich gar nicht daran zu denken, was es heißen würde, wenn wir in den Top 10 oder vielleicht sogar in einem der europäischen Wettbewerbe landen würden. Aber man darf nie vergessen, wo man herkommt."